Pyrenäen-Durchfahrung 2006 in 7 Tagen - 822 km, 18000 Höhenmeter

Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)

"Alpines Rad Fahren ist die Kunst, den ständigen Wechsel zwischen qualvollem Sterben und Wiederauferstehung zu ertragen."

Zwinki

Der Plan

Von meinem altgedienten Sportfreund Peter aus der Nähe von Braunschweig kam die Idee, einmal die Pyrenäen vom Atlantik zum Mittelmeer per Rennrad zu überqueren. Das machen Viele. Die Frage ist nur, in wieviel Etappen und über welche Pässe. Ich hörte zuerst von 8 Tagen und 20000 Höhenmetern (ansteigende natürlich, falls dies irgendwem nicht klar sein sollte). Erschreckend. Schafft man das? Aber wenn es nicht so steil ist (Alpenpässe gehen ja oft auch nur bis ca. 10%) und man sehr langsam fährt, sollte es drin sein. Obwohl - ich war noch nie an zwei Tagen hintereinander mehr als 3000 Hm gefahren. Das stand uns offenbar bevor. Na schön: Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter. Peters Frau Marianne fährt den Versorgungs- und Besenwagen.

Von einer mir unbekannten Münchner Gruppe erhielt ich einen detailliert ausgearbeiteten Vorschlag für 7 Tage. Wir befolgten ihn soweit wie möglich. Die dortigen Höhenmeter-Angaben waren wie befürchtet zu niedrig angesetzt. Aus einem Rennradforum erhielt ich die Meinung, die Pyrenäen seien fast schöner als die Alpen (als Alpinist und Verfolger von Touretappen im Fernsehen war ich nicht dieser Ansicht) und offenbar schwerer - oh. Wird wohl subjektiv gewesen sein.

Lange Vorrede, kurzer Sinn: Wir lagen in unseren Vorstellungen völlig daneben. Aber sowas von daneben.

Anreise: Dresden - Dourdon - Bayonne (18.-20.8.)

Im Zug nach Braunschweig saßen am Freitag, den 18.8.2006, zu wenig Leute, als dass sich eine nennenswerte Verspätung für die Deutsche Bahn gelohnt hätte. Peter holte mich am Bahnhof mit dem Auto ab, und angesichts meiner ca. 5000km seit 1.4. sagte ich ihm: "Nach meinen Berechnungen müsstest Du bisher ungefähr 15000 Jahreskilometer haben." Das sollte eine Frozzelei sein, doch Peter antwortete: "Stimmt! Woher weißt Du das?" Peter fährt extrem viel, bestreitet Triathlons (jetzt nur noch Staffel) und ist ein typischer Wettkämpfer. Wir fahren sehr gern zusammen, und nach ein paar Tagen kann ich mit ihm am Berg besser mithalten.

Der Dritte im Bund sollte Klaus aus der Nähe von Schwerin werden, 66 Jahre. Hätte sich Peters Mutter etwas mehr beeilt, wäre Peter nicht erst 59, und unser Team ZÜPÜQ (zonenübergreifende Pyerenäenüberquerung) hätte ein Durchschnittsalter von glatt 60 - ich war vor kurzem 54 geworden, was wenig besagt.

Klaus kam am Samstag (19.8) früh einen Zug später, und weil Peter und Marianne zu diesem Zeitpunkt noch nicht so mit der Handykultur firm waren, gab es allerhand Stress.

Endlich ging es los. Lange Autofahrten sind nicht mein Ding, es wurden deutlich über 1000km. Es wurde extrem lustig. Wie es sich für ein Seniorenteam gehört, redete man über Sterben und Friedhöfe. Auf dem Elm gibt es einen Friedwald, wo man mit seiner Asche einen ausgewählten Baum düngt und dieser als Grabmal dient (clevere Idee!). Ich meinte als junger Spunt: "Wollen wir vor unserem Ableben nicht erst einmal die Pyrenäen fahren? Das ist doch der nächste Plan! Und warum verfügt Ihr nicht einfach: Rührt meine Asche mit etwas Zement an, macht einen kleinen Kegel auf dem Tourmalet mit dem Schildchen

HIER HAUCHTE KLAUS
SEIN LEBEN AUS.

Fertig!" Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie sehr mir dort selbst nach Sterben zumute sein würde. Schwere Unwetter lenkten uns von der Diskussion ab.

Es ging durch Belgien, das doch grüner und netter schien als erwartet. Auch beim Tanken sehr nette Leute, die uns halfen.

In der Nähe des Pariser Flughafens de Gaulle begann sich die Autobahn in so vielen Kreiseln um Umleitungen zu drehen, dass wir völlig die Orientierung verloren. Wie durch ein Wunder kamen wir an der richtigen Stelle heraus, obwohl zwischendurch kein Schild darauf verwies.

Erste Rast

Gegen Abend machten wir im alten Städtchen Dourdan Rast und fanden ein gutes Hotel. Frankreich war bisher meine größte Bildungslücke (außer Korsika, vgl. den GR20-Bericht), und ich war von dem schönen Städtchen mit seiner uralten Festung und großen Kirche begeistert.

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Auch das Hotel war sehr gut, leider gab es kein Essen für uns dort. Die einzige offene Gaststätte im Ort (außer einem Asia-Imbiss, der beizeiten schloss) war leider voll - da nützte uns auch die Empfehlung von Franzosen nichts, dass diese Gaststätte wirklich gut sei. Wir kauften schnell Joghurt und anderes Futter in einem kleinen Markt. Na gut, Kalorienverbrauch im Auto minimal, obwohl ich bei meinem derzeitigen Gewicht (9kg seit Ende März verloren) ein bisschen aufspecken sollte.

Der Schnarcher

Klaus und ich teilten uns stets ein Bett (und zerrten am gemeinsamem Laken um die Wette). Klaus hatte in seinem jugendlichen Elan die Nacht vorher "durchgemacht" und schnarchte daher verstärkt. Das war schon störend (ich schnarche ja auch, aber nicht so wilde). Anrempeln: Keine Wirkung. Faustschlag: Weiterschnarchen. Handkantenschlag: Kannste vergessen, der sägt weiter. Fußtritt: Na endlich, das half.

Am nächsten Morgen fragte ich ihn wegen seiner Immunität gegen Schläge: Er war mal Boxer.

Das Frühstück war übrigens unfranzösisch reichlich und sehr gut. Und die Leute im Hotel ausgesprochen nett, ein junges Mädchen sprach sogar fließend Deutsch und Englisch.

Auf zum Atlantik

Am Sonntag, den 20.8., fuhren wir die restlichen reichlich 700km bis Bayonne, eine wunderschöne Stadt in Atlantiknähe.

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Das erste exzellente Abendessen in einer Gaststätte. Teuer, aber man konnte eigentlich ohne Sprachkenntnisse aufs Geradewohl bestellen: Es schmeckte durchweg alles vorzüglich.

1. Etappe: St.Jean de Luz - Larrau

137.1km, 19.9km/h, 3150Hm, 6h53m netto / 9h43m brutto

Pässe: Col de St. Ignace, Puerto Otxondo, Ispeguy, Iraty

An einem wunderschönen Morgen ging es per Auto zum ausgewählten Startort. In der Ferne lockten die Berge.

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Ein stämmiger Franzose mit wenigen Englischkenntnissen, vielleicht um die 40 Jahre alt, wollte uns das erste Stück spontan begleiten. Räder zusammengebaut und geschultert, Startfoto:

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- "Verstand auf Null, Blick auf Unendlich, und dann los."

Der Franzose fuhr zügig, es machte Spaß. Klaus wurde von seinem Pulsmesser ausgebremst: Roter Bereich! Ich bin nicht Sklave eines Pulsmessers, aber für sein Alter war das sicher sinnvoll. Verabschiedung unseres Gastes und Führers. In Ascain hatten wir noch 26.5 Schnitt. Das war nicht zu schnell, aber eben auch nicht gebummelt. Es fuhr sich herrlich, die Landschaft war sehr schön:

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Zum ersten Pass auf 570m ging es nur mal kurz bis ca. 11% steil hoch, doch ich war solche langen Anstiege noch nicht gewohnt, das spürte ich. In Tschechien - härter als Lausitz und Erzgebirge - macht man bis zu 500Hm, aber meist sehr ruppig und kurz, dann den nächsten. Das hier war eher für Hochgebirgsfahrer.

Zum in Spanien gelegenen Otxondo hoch wurde es schon warm und nicht mehr so locker. Oben wartete Marianne mit dem Auto. In meiner mittleren Trikottasche war etwas Hartes: Oh, das eingewickelte Croisson von heute früh, nur durch den Rucksack etwas plattgedrückt:

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Man sollte es nicht glauben, aber der Geschmack hatte sich nicht verändert.

Der dritte Pass (Ispeguy) musste schon in ziemlicher Hitze gefahren werden und bot weit ausladende Serpentinen:

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Durch meine Fotografiererei fiel ich ständig weit zurück - ich rechne etwa 1 Minute brutto pro Foto, und 300 gute Fotos blieben am Ende übrig ...

Die Abfahrt vom Ispeguy war für mich etwas völlig Neues. Eine extrem schmale Straße, ständig wechselnder Belag, Steine auf der Fahrbahn, Schlaglöcher, links Felsüberhänge, rechts Abgrund hinter niedrigen Begrenzungen, engste Haarnadelkurven und weite Schwünge - der ganze Fahrer war da gefordert. Ich begann an dieser Knobelaufgabe Gefallen zu finden, es war ein Hochgefühl. Kaum ein Auto getraute sich auf diese Strecke. Lange vor Peter und Klaus kam ich an. Peters Rad hatte einige Zeit vor dem Urlaub mal so heftig geflattert (allerdings mit Triaaufsatz), dass er sich noch nicht wieder traute, schnell zu fahren, und Klaus fuhr noch vorsichtig. Ich schnitt wohl auch die Kurven etwas besser. Jedenfalls: Das war das Highlight bisher, ich hätte jauchzen können.

In St.Jean de Port (oder -de Vieux) war ein großes Fest im Gange, eine schöne alte Stadt mit uralten Bogenbrücken über den Fluss und vielen Menschen und Verkehr. Es war ziemlich heiß geworden. In Medive erst einmal lange Trink- und Abkühlungspause. Marianne tauchte wieder auf.

Der Unsinn mit den Durchschnittssteigungen

Jeglicher Rest von Jauchzen verging uns allen am letzten Pass, dem Itary (1327m, über 1100Hm), mit insgesamt 21km Anstieg. Es ging los mit "12km 13%". Was soll das heißen? Noch 12km bis zum Vor-Pass, der nächste km mit durchschnittlich 13% Steigung. Da waren auch 14 und 15% drin. Aua. Der nächste km zeigte wohl 8%, aber es wurde nicht flacher, nur zwischendurch mal ein Stückchen. Was habe ich davon, wenn es 500m nur 5% sind und danach wieder ein halbes Kilometer lang 13% am Stück sind. So ging es weiter: 4%, aber da war eine Abfahrt mit drin, danach der nächste Hammer. Ich überdrehte in der Hitze völlig und setzte mich in den Straßengraben zum Abkühlen. Sogar Traubenzucker aß ich etwas, um schneller zu regenerieren. Klaus quälte sich langsam vorbei. Egal. Ich hatte erst ein Drittel geschafft. Das Gefühl des nahenden Todes beim Rad Fahren kenne ich sehr wohl, doch hier roch es nach Asche am Baum im Friedwald.

Stück für Stück schleifte ich mich hoch. Der Höhenmesser zeigte in der Sonne sofort über 30 Grad an, im Schatten mindestens 26 - und es war richtig schwül. Das Gehirn schaltet sich allmählich ab bei solch einer Belastung und konzentriert sich auf einen Zweck: oben ankommen, irgendwie. Ohne Dreifachkurbel (26:24 als minimale Übersetzung) hätte ich keine Chance gehabt. Auch Peter fuhr dieses Jahr erstmals eine Dreifachkurbel und quälte sich trotzdem wie ein Tier. Klaus musste mit zweifach und 34:30 leben - mit 66 Jahren.

Der Pass! Nein, das war erst der Burdinourutcheta. Von dort ging es 135Hm hinab und dann nochmals 327Hm hoch. Keine Wahl. Ich traf die vier Frankfurter, die wir unterwegs kennenlernten. Einer im Gerolsteiner-Trikot fuhr richtig gut, andere sollen sogar geschoben haben. Unten in der Senke ein Imbiss. Den nutzten wir zur Trinkpause. Auch Klaus kam dort an. Jeder war geschafft.

Die letzte Steigung wie immer: knackig. Wie oben schon gesagt: Verstand auf Null, Blick auf Unendlich und dann los. Der "Gerolsteiner" überholte mich und war beeindruckt, als ich ihm von meiner wunderschönen 300km-Tour (allein) von vor 14 Tagen erzählte. Mich beeindruckte dieser Pass hier ungleich mehr. Wie leicht fiel dagegen die 300er.

Und wieder die Auferstehung nach dem qualvollen Tod. Die Abfahrt war irre. Ich musste anhalten, weil der Hinterreifen heiß wurde, trotz Intervallbremsung. Klaus hielt auch an. Die Blicke waren traumhaft schön:

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Ich schien endlich mal das Abfahren gelernt zu haben und überholte die anderen beiden schnell, nachdem mehrere Fotos mich aufhielten. Unten war eine so herrliche Stimmung, dass sie und die Freude über das Überleben dieses grausamen Tages mir die Tränen in die Augen schießen ließen.

Die Freudentränen verwandelten sich jäh in Schmerzenstränen, als es unangekündigt 10%ig wieder hoch ging. Landschaftlich ein Traum, für die Beine nicht ganz so. Wie dicht liegen doch Freud und Leid bei solchen Unternehmen beieinander. Ich war sowieso ziemlich aufgewühlt in dieser Zeit, und daher nahm es mich besonders mit. Aber es war eigentlich herrlich.

Gegessen hatte ich den ganzen Tag sehr wenig: Meine Spezialität, das Platt-Croisson, ein Stück Baguette, 1/4 Snicker von Klaus. Und dann 3150 Höhenmeter, wo 3000Hm doch eindeutig die Schmerzgrenze ist. Was war nur los mit mir? Kein Hungerast in Sicht. Aber wie soll das weitergehen? Angeblich war dies das Einrollen, und die Königsetappe kommt erst übermorgen!

Der potenzielle Hungerast wurde im exquisiten Restaurant im kleinen Ort Larrau hocheffektiv bekämpft. Das war Essen vom Feinsten. Die Beschreibung erspare ich mir: Ich kann es nicht.

Klaus hatte sich normalisiert, schnarchte nicht mehr als ich (sagte er) und zerrte auch nicht mehr am Laken als ich. Überhaupt vertrugen wir uns prima. Peter schleift schon keine falschen Freunde an.

2. Etappe: Larrau - Eau-Bonnes

103.5km, 18.8km/h, 2550Hm, 5h29m netto / 8h09m brutto

Pässe: Col de Soudet, Col de Marie Blanc

Das Frühstück war gut und reichlich. Wie wir merkten, erhielten andere Gäste weniger. Radfahrer sind eben Götter in Frankreich :-)

Heute erstmals zwei Pässe der Tour de France. Es ging heftig los mit dem Col de Soudet: 21km Anstieg, lange Zeit über 15-16% am Stück, 1300Hm, der steilste Pass bisher überhaupt. Aber es war der erste Pass des Tages und nicht der letzte und vor allem noch kühl. Kaum zu glauben, was das ausmacht. Ja, wirklich, diese Quälerei bot noch echten Genuss. Ich fotografierte wieder viel:

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Die Berge trugen Wolkenkrause, das Morgenlicht schimmerte auf die sattgrünen Wiesen - tolle Stimmung.

Die nächste geniale Abfahrt. Wegen meiner Fotos waren Klaus und Peter vorn und hielten an einem Abzweig, der uns eigentlich nichts anging. Das rief ich zu und jagte weiter. Ein Fehler, aber mit guten Folgen. Wir hätten rechts gemusst und wären auf eine elende Schotterpiste geraten, wie uns Marianne später berichtete. Die Abfahrt war einfach ein Traum:

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Ich jagte wie ein Wilder (ohne leichtsinnig zu werden) hinab. Abfahren hatte mir noch nie so viel Spaß gemacht wie dort. Unten berechtigte Standpauke von Peter und Klaus. Halb so schlimm, wir fahren nach Arette und dann von Norden aus zum Marie Blanc, den ich vom Fernsehen her (Tour) schon kannte.

Marie Blanc war ein "niedriger" Pass, nur 755Hm. Damit man nicht übermütig wird, boten der vorletzte Kilometer im Schnitt 13% Steigung und der letzte 12%. Man hielt sich an den Durchschnitt und wechselte nicht zwischen Flachstücken und etwa 20%-Rampen. Wie es uns dennoch erging, möge sich der Leser selbst denken.

Nach der wie immer tollen Abfahrt ging es noch lange auf und ab durch schöne, einsame Ecken (clevere Routenwahl über Beost) und natürlich am Ende ordentlich hoch nach Eau-Bonnes, einem verträumten, morbiden Themalbad, eingezwängt in eine tiefe Schlucht mit hohen Bergen darüber. Ein Stadtbummel vermittelte die eigenartige Atmosphäre. Es war vielleicht der stimmigste Ort der ganzen Tour.

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Die Kellnerin sprach fließend englisch und half uns bei der französischem Aussprache. Einzelne Gläser Wein gab es nicht, ich riskierte ausnahmsweise eine ganze Flasche (die ich über zwei Tage verteilt austrank) für 21 Euro und habe es nicht bereut: Das war eine neue Qualität. Sollte ich mir eigentlich nicht leisten, aber ab und zu will der Mensch Freude.

Der Tag war wie immer tödlich, aber herrlich.

3. Etappe: Eau-Bonnes - Arrau (Königsetappe)

122.7km, 17.3km/h, 3550Hm, 7h03m netto / 10h05m brutto

Pässe: Col de Aubisque, Col de Soulour, Col der Tourmalet, Col de Aspin

Die Frage über Tod oder Leben war für uns bereits entschieden: Sie war uns egal. Also auf zur Königsetappe. Aus dem Ort heraus rollten wir uns mit 8-10% Steigung erst einmal gemütlich ein. Es ging immer steil hoch, natürlich auch mit deutlich mehr als 12%, wie es sich offenbar in den Pyrenäen gehört. Ich entdeckte einen Trick, wie ich mit dem Had-Tuch den Schweiß stoppen konnte, der am Vortag so unsäglich in den Augen brannte.

Vorbei am Skiort Gourette, in engen Kurven durch den Wald hoch, eingeschnitten in steile Hänge mit Blick auf hohe Felswände gegenüber und Bergen mit Halskrausen weiter weg - ich musste oft fotografieren. Landschaftlich wieder ein Highlight. Peter war wie immer zuerst oben, Klaus ließ auf sich warten. Er wusste immer genau, wie weit er sich belasten durfte, aber belasten musste er sich dennoch. Endlich kam auch er:

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Die Abfahrt (bei der Tour auch als Auffahrt genutzt) war abenteuerlich:

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An einer anderen Stelle ging es das einzige Mal durch einen echten kurzen Tunnel. Ansonsten hatten wir das Licht umsonst mitgeschleift. Doch Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, wir waren gebrannte Kinder.

Der folgende Solour war war leicht, ich zog auf dem mittleren Blatt (1.5:1) Peter davon und fotografierte ihn endlich mal von vorn.

Eine geschickte Routenwahl über Arcizans-Avant bescherte uns zwar einige Höhenmeter, dafür aber ruhige Straßen sowie schöne Orte und Blicke. Nun ging es südwärts. Auf zum Tourmalet, dem höchsten Pass dieser Tour. Pro forma 31km Anstieg, steil "nur" 17km.

Es war sehr warm geworden, zu warm für mich. Eine große Straße im Tal (die D921) zog sich zwischen hohen Felsen, steilen Waldhängen und Fluss immer bergan. Man konnte noch relativ flott fahren (aber ja nicht überdrehen!). Endlich, in Luz-St.Saveur, der Knick nach Osten. Es ging los. Ich kündigte gleich an, angesichts der Erfahrungen des ersten Tages langsam und mein eigenes Tempo zu fahren.

An keinem Pass ging es mir schlechter als dort. Ein Hydrant mit Kurbel in Bareges verschaffte mir nochmals frisches Wasser, Marianne munterte mich auf. Ich war schon weit hinter Klaus zurückgefallen, Peter fuhr ohnehin vorneweg. Es war nicht so steil - 8-10% ständig -, aber heiß, und ich kochte immer mehr. Oberhalb der Waldgrenze brachte kein Wind die ersehnte Abkühlung. Der Pass artete zur übelsten Sorte aus: "schräge Wiese". In weiten Schwüngen fuhr ich in dem riesigen Kessel hoch, ohne das Ende wirklich zu sehen (nur das eigene hatte ich vor Augen). Alle 2km musste ich abkühlen. Vielleicht wäre es schneller gegangen, doch ich war sehr vorsichtig. Zum zweiten Mal verzichtete ich auf den Helm beim Anstieg, trotz des Verkehrs.

Ich holte einen lustigen, kahlköpfigen jungen Holländer ein, der auf einem mit 4 großen Gepäcktaschen beladenen Rad in unglaublich kleinem Gang hochkurbelte. Der musste garantiert doppelt so viel treten wie ich. Aber auch er machte in kurzen Abständen Pause.

Die letzte Steilrampe schwang sich mal kurz zu 13% auf (Peter schätzte das viel steiler ein), und dann war auch ich da - fast eine Stunde nach den anderen beiden. Sorry, aber das gebot mir die Vernunft. Ich kann auch anders, getraute es mir aber nicht.

Wasserversorgung auf dem Pass fast gleich Null, Cola besser, doch extrem teuer - was will man machen. Lange Pause. Die Königsetappe, und ich fühle mich eher mies wie ein Knecht.

Die Abfahrt führte durch ein futuristisches Skidorf (Super Bareges?). Man kam sich vor wie auf einem anderen Planeten. Leider habe ich nur eine Aufnahme:

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Den letzten Pass, den Aspin, schaffte ich wieder auf dem mittleren Blatt, nicht lang nach Peter kam ich oben an. Aber es war schon wieder viel zu warm.

Die Abfahrten waren wieder wie Fliegen über die Landschaft, man kam sich vor wie im Traum. Eine Viertelsekunde Schauen muss reichen, das Gehirn setzt dankbar für uns einen Film daraus zusammen. Jede Abfahrt ist von neuem die Wiederbelebung des halbtoten Radfahrers. Extremere Gefühlswechsel erlebte ich beim Fahren vermutlich noch nicht.

Ganz schön breit kamen wir in Arrau an. Das war fast so steil wie der Dolomitenmarathon, aber ungleich ruppiger und schwerer. Nur bei diesem, dem Dreiländergiro (mit Stilfser Joch) und bei drei Teilnahmen am Fichtelberg-Supercup fuhr ich mehr Höhenmeter. In drei Tagen waren wir insgesamt vom Meeresspiegel auf Everesthöhe gestiegen. Das gilt bei zweiwöchigen Alpenurlauben für meine Kletterkumpel und mich als echte Leistung ... und hier 3000Hm im Schnitt jeden Tag ... wir leben immer noch ...

Arrau war wieder eine sehr schöne alte Stadt:

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Das das Abendessen vom Feinsten war, versteht sich von selbst - der Preis übrigens auch, aber was soll's. Wir mussten essen. Mit Englisch konnte hier übrigens niemand etwas anfangen.

4. Etappe: Arrau - St.Girons (Höllenetappe)

126.5km, 17.8km/h, 3080Hm, 7h06m netto / 9h43m brutto

Pässe: Col de Peyresoure, Col du Portillion, Col d'Artigascou, Col d'Aspet

Endlich schlechteres Wetter :-) Oben Nebel, kühl, 16 Grad, leichter Niesel ab und zu. Der erste Pass wartet mit 990Hm auf uns. Es geht gemächlich los. Ich schaffte es wohl, auf dem dritten Blatt zu bleiben (nur einmal kurz 13%). Peter und ich warteten ein- oder zweimal auf Klaus, damit wir oben nicht so auskühlen. In dichtem Nebel fahre ich Peter endlich mal langsam davon. Das ist schon eher mein Wetter. Wieder sind viele Aufschriften von der Tour de France auf der Straße zu sehen. Oben taucht Peter langsam aus dem Nebel auf, es wird wie erwartet nasskalt. Die Abfahrt ist toll:

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Der Col du Portillion wird übelst steil, 13-14% über wirklich längere Strecken. Ein waschechter Pyrenäenpass, in dichtem Wald. Die folgende Abfahrt nach Spanien bot eine exzellente Straße, auf der man herrlich die Kurven schneiden konnte. Dass die Autos hier deutlich rücksichtsloser als in Frankreich fuhren, merkte ich gar nicht so sehr als abgehärteter Dresdner. Der Verkehr in Frankreich war aber trotzdem eine Wohltat für Rennradfahrer.

Der große Schreck

Zum Col d'Artigascou zeigte ein Schild auf eine steile, schmale Straße bergan. Es ging gleich steil los und hörte auch gar nicht mehr auf. Ich fuhr in der Mitte zwischen Peter und Klaus und konnte sie gleichzeitig fotografieren:

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Autos kamen ab und an. In einem Ort unten steilte es mal auf 17% auf, ansonsten blieb es bei ständig 9-12%, aber ohne Luftholen. Nur die Straße wurde immer schlechter. Von einsamen Erkundungen in Tschechien her war ich einiges gewohnt, das hier kam schon an die Grenze des Zumutbaren. Ein Flachstück oben stellte sich beim Blick auf meine Libelle als 10%ige Steigung heraus. Das passierte immer öfter - wir wunderten uns später noch, warum es bei 8% Anstieg nicht von allein rollte.

Da hingen Peter und ich nun oben allein im Wald im Nieselregen und warteten auf Klaus, völlig breit und ziemlich demotiviert. Rad fahren eröffnet dem Menschen ungeahnte Abgründe. Das war wieder mal ein Blick ins trostlose Grab. Wie war das doch gleich mit dem Friedewald?

Aber, so erinnerte ich mich, laut Karte müsste nun eine gute Straße kommen. Nach unserer Reanimierung machten wir uns auf den Weg. Naja, soo toll war die Straße nun auch wieder nicht. Genaugenommen wurde sie nach breitem Anfang immer schlechter. Dann wurde sie zum groben Schotterweg. Links sah ich ein verrostetes Schild mit einem Totenkopf darauf. Selten erblickte ich ein passenderes Symbol.

Klaus und Peter fuhren oder schoben, ich rannte lieber - bloß keine Panne jetzt. Wieder Asphalt, wieder Tragen ... nimmt denn das kein Ende. Das war schon kein Rad Fahren mehr, das ging in Richtung Alpinismus. Scharfe Rechtskurve, geradeaus ein Sandweg mit herrenlosem Auto, und rechts: eine Schranke. Dahinter ein unbefahrbarer Forstweg. Nebel, Niesel, kein Handyempfang und allein im Bärengebiet. Na fein. Was nun?

Ich holte meinen kleinen Kompass heraus, den ich "versehentlich" mit hatte. Laut Karte ging es hinter der Schranke weiter. Nach wenigen km müsste weiter unten ein Ort mit der guten Straße kommen (also doch noch nicht hier).

Die Richtung stimmte schon, die Karte passte. Klaus und Peter wollten nicht so recht daran glauben. Was mir Kraft gab war: Es zeigten sich immer wieder Asphaltflecken. Niemand asphasltiert eine Straße vom Gipfel her, die kommt immer von unten. Also war das mal eine Straße, die unten nur noch besser werden kann.

Weiter. Ich trug das Rad und rannte, Klaus und Peter versuchten es mit Fahren. Klaus stürzte und lag neben seinem Rad auf dem Rücken mit gestreckten Beinen nach oben. Bloß nicht!! Aber Klaus war hart, stand auf und fuhr weiter. Ja, so ist der Radsport, lieber Leser.

Wie lange wir talwärts hoppelten, weiß ich nicht. Die anderen beiden rollten vornweg, ich rannte und fuhr auf guten Stücken, die manchmal nur 10m lang waren. Keine Zeit zum Angst haben. Aber im Hochgebirge habe ich schon so oft Ähnliches erlebt. Man muss unbedingt die Nerven behalten in solchen Situationen. Haben wir.

Irgendwann wurde es mehr Asphalt, und dann stand doch tatsächlich das erste gefüllte Auto da. Es wurden mehr, ich jagte bergab. Der Bärenpfad begann zur Straße zu werden. Wanderer zeigten sich im Regen und wunderten sich zu meiner Verwunderung nicht über Rennradfahrer. Am Ortseingang von Couledoux stand schon Peter und sagte: "Wir sind richtig!" Na bitte, alles passt doch, was soll das Gejammere wegen ein paar unbequemer Meter.

Zum Teufel aber auch: Da fährt jemand diese Tour voriges Jahr im Juni, wo diese Straße bestimmt auch schon nicht benutzbar war, und warnt uns nicht? Was sind das für Leute? Haben die so viel Stress?

Kompott

Es ging auf und ab. Ob es noch regnete, weiß ich nicht mehr, denn das Blut wurde zur Versorgung der Beine gebraucht, nicht des Gehirns. Letzter Pass: der Aspet. 436Hm, das machen wir doch mit links. Aber nicht in den Pyrenäen. Uns wurde der bisher längste Anstieg mit 16% am Stück geboten. Und dort müssen die armen Hunde von der Tour noch hoch.

Die Abfahrt war riesig, steht in meinen Notizen. Ich kann mich nicht mehr besinnen. Auf den letzten 12km vergaß Klaus, dass er nur mit 30 Sachen fahren wollte (behauptet sein Pulsmesser), und Peter zieht sowieso immer mit. Es ging oft ganz leicht bergab, und ich zog die beiden mit 40km/h 12km lang bis ins Etappenziel St.Giron. Eingedenk einer Diskussion mit Klaus, in der ich behauptete, dass ich nach solchen Ausdauerphasen kaum auf mehr als 45km/h komme, probierte ich für mich allein einen Ortsschildsprint. 50km/h. Oh. Woher die Kraft kam? Fettverbrennung. Ich habe nun schon 10kg in 5 Monaten verloren, und es geht immer noch weiter. Kann man krank sein, wenn man so eine Leistung bringt? Meine Ärztin frage ich lieber nicht, sonst braucht sie die Hilfe.

Vom historischen Zielort weiß ich nur noch, dass wir ganz unfranzösisch eine leckere Pizza aßen.

12000Hm in 4 Tagen, und ich dachte, man hält das kaum zwei Tage aus. Mir fehlen die Worte.

5. Etappe: St.Girons - Tarascon (Einzelzeitfahren)

100.2km, 20.0km/h, 2300Hm, 4h59m netto / 6h15m brutto

Pässe: Col de Latrappe, Col d'Agnes, Col du Port

Da unsere Kartenkopie für den 5.Tag wieder solche schmalen Straßen wie beim Col d'Artigascou zeigte, wollten Peter und Klaus die D618 fahren mit einem Pass am Ende. Ich konnte, wenn ich wollte, mehr fahren. Und es hat sich gelohnt. Der ersten Teil der Originalroute über den Col de la Core drückte ich in den Skat, was ich nicht hätte tun sollen - der war vermutlich ein Glanzlicht.

So fuhren wir bei schönstem Morgenlicht die genussvoll zu radelnde D618 entlang, bis es mir zu langsam wurde (ich hatte ja auch mehr vor) und statt mit 25-30km/h wie eher gewohnt mit 30-35km/h loszog. Rechts ab nach Soueix. Rauer Asphalt, aber ein schönes, flaches Tal. Hinten zeigten sich hohe Felsspitzen vor dem hellblauen Himmel. Oh schade, dort wäre ich durchgekommen. Soueix war ein schöner Ort:

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Das folgende Val d'Ustou war ein Genuss an diesem Morgen. Wenn man allein fährt, erlebt man ohnehin alles viel intensiver (was nicht heißt, dass man immer allein fahren sollte). Der erste Pass Latrappe war ein Kinderspiel, nur 400Hm und maximal 10% (alles bezogen auf das bisher Erlebte). Es ging auf breiter, stark gewundener Straße sehr zügig hinab nach Aix-le-Bains. Nun kam der Hauptanstieg zum Col d'Agnes. Der erste Pass, der mehr wie in den Alpen war: Mehr geschlängelte Straße, ringsum felsiger, auch die Bergspitzen. Etwa 7-10% Steigung ständig:

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Auch die Tour fuhr hier entlang, eindeutig:

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Auf dem Col so etwas wie Sonne, das Wetter ging. Nach einer schwungvollen Abfahrt noch leichte Gegenanstiege und dann eine sehr lange, leicht hoppelnde Abfahrt bis Massat. Die dritte SMS an Peter und Klaus, dass es mir wirklich gut geht.

Der letzte Pass war leicht, nur das Wetter verschlechterte sich. Links lockte ein 3-4km langer, 18%iger Anstieg auf eine Stichstraße. Eine Weile überlegte ich, ob ich mir das mal antun sollte. Der Übermut war wieder da. Dann dachte ich, dass der Folgetag ja vielleicht noch etwas Spaß bieten könnte und man mit seinen Kräften sinnvoll umgehen muss, wenn man nicht weiß, was einen erwartet. Aber noch mehr zog das Argument, das von hinten rasch in Form sehr grauer Wolken und Regenschleier heranzog. Also zum Pass, und abschließend im recht starken Regen etwa 20km bergab bis Tarascon. Das Hotel war bald gefunden, es gab sogar einen speziellen Fahrradraum. Nur Englisch sprach hier wirklich keiner.

Peter und Klaus waren 3 Stunden vor mir am 18%er gewesen und hatten ihn sich angetan. So hatte wenigstens jeder etwas Ordentliches gemacht :-) Ich hingegen konnte die alpenähnlichste Etappe bisher erleben und war wirklich happy.

Draußen goss es inzwischen wie aus Kannen. Zusammen mit Sonnenflecken boten die Berge ringsum ein gespenstisches Bild:

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Abends der obligatorische Stadtbummel:

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Das Essen ... überflüssig zu erwähnen, wie gut es wieder war.

6. Etappe: Tarascon - Quillan (das Gute kommt zum Schluss)

120.2km, 20.9km/h, 2750Hm, 5h44m netto / 7h45m brutto

Pässe: Col de Soulombire, Col de Chiola, Col de Pailheres

Mit dem "Spaß am nächsten Tag" hatte ich wieder mal richtig vermutet. Man kann sich immer steigern. Aber der Reihe nach.

In Tarascon verfuhren wir uns erst und investierten so ca. 7-8km zusätzlich. Peter zeigte etwas Nerven und fragte Leute, die er nicht verstand - ich schaute lieber erst einmal auf die Karte. Doch alles ging gut, wir kamen in die Gänge. Das Wetter war kühler und angenehm, leicht bedeckt. Zum ersten Pass ging es bis zu 12% steil hoch, doch nicht lang am Stück, und so schaffte ich wieder mal einen auf dem mittleren Blatt. Beim Fotografieren auf dem langgezogenen Sattel blieb ich zurück, und die beiden rasten davon. Eigentlich bleiben wir doch zusammen. Nach meiner Rechnung jagte ich ihnen 18km lang über die Corniche-Route hinterher und machte dennoch Fotos und sandte verzweifelt SMS. Das war ein grober Abstimmungsfehler: Wenn einem zu kalt ist zum Warten, zieht man sich gefälligst lange Sachen an. Es gab mehrere Abzweige zwischendurch. Ich war ziemlich sauer deswegen. Aber nach solchen Anstrengungen zeigt wohl jeder Nerven, wie ich später noch bemerkte. Man wird dann aggressiver.

Dennoch war es eine sehr schöne Strecke. Die Temperatur betrug so etwa 16 Grad, und auf den 4-6% Steigung ging es ständig mit 13-23km/h hoch, Peter fuhr mir sogar hinterher. Meingott, das ist der 6.Tag, grob gerechnet haben wir bisher über 20000 kcal verbraucht (wahrscheinlich viel mehr) und nur einen Bruchteil davon gegessen, ich habe immer unruhig und/oder ganz wenig geschlafen (ungewöhnlich für Etappenfahrten), die Muskeln sind trotz täglichen gewissenhaften Dehnens an ihrer Grenze - woher kommt das nur? Unser Körper lächelt offenbar weise über die Lehren der Sportmedizin.

Nach Ascou hinunter führte eine tolle Straße, es war wieder ein Schweben über der Landschaft. Und dann ging es los: Auf zum Pailheres. Wieder so ein Schweinepass, wie sich herausstellte. 1000Hm, die es in sich hatten, auf nur 12km - das sagt eigentlich alles. Es ging fast immer mit 9-12% Steigung hoch, 5% wurden als absolut eben empfunden. Maximal gab es kurze Einlagen von 13%, über die man als Pyrenäenfahrer nicht redet.

Peter sprang unten die Kette ab, und damit war klar, was nun passierte: Ich fuhr los, was das Zeug hielt. Endlich mal an einem großen Pass als Erster oben sein. Nur war mir nicht klar, wie lang der Weg dorthin wurde.

Es war viel Rückenwind, der rettete uns vermutlich. Trotzdem japst und keucht man sich einfach die Lunge aus dem Hals. Die Beine ständig vor dem Versauern, das Trommeln in der Brust am besten gar nicht wahrnehmen. Noch 100m, dann bricht man zusammen. Das 10mal, danach ist wieder ein Kilometer um, und man ist immer noch nicht zusammengebrochen. So geht das Serpentine um Serpentine, Rampe um Rampe. Verstand auf Null ... siehe oben.

Klar kämpfte sich Peter verbissen heran. Erst am Horizont, dann bereits weit unter mir. Langsam, aber sicher rückte das Unheil immer näher. Weit oben hörte ich bereits seine Pressatmung, sie wurde immer lauter. Aber mehr ging nicht. Dennoch riskierte ich ein Foto, während er eine Serpentine unter mir vorbeihuschte:

(Foto)

Damit waren wir hinsichtlich Zeitverlust (Kette abgesprungen!) quitt. Auf einer langen Geraden schloss er auf, aber offenbar war ihm die Lust am Vorbeifahren doch etwas vergangen, ich beschleunigte zwischendurch mal etwas. Man quälte sich gnadenlos, das Denken war längst abgeschaltet. Nee, ich kann nicht krank sein. Ich wäre sonst längst tot.

Oben, kurz unter dem Ende, sagte Peter (jaja, wir konnten sogar noch kurz reden!): "Fahr vor und mach ein Foto von mir!" So 50-100m vor dem Ende schaltete ich hoch und zog im Wiegetritt sogar noch flott von dannen ... um festzustellen, dass danach der nächste Berg kam. Der Leidenswille eines Rennradlers hat unbegrenzt zu sein. Mit immer 11% Steigung, teils mit Wind von hinten, teils von vorn, zerrte ich mich auch dies Rampe noch wenige 100m hoch. Rad hinschmeißen, Kamera aus Rucksack zerren und Peter gerade noch mit 200mm Tele erwischen:

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Es war schlimmer Sturm oben. Wir zogen uns sofort an und warteten auf Klaus. Der kam spät, beständig tretend, mit starrer Miene, und fiel dann ins Gras:

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Klaus verliert nicht so schnell seinen Humor. Er weiß offenbar immer, was er tut. Aber der Pass war ein Hammer.

Das 50km-Bonbon

Nach dieser Schinderei hatten wir uns eine Belohnung verdient. Diese bestand in 50km Abfahrt bis Quillan, davon 30km Felsschluchten, unter anderem der von der Tour her berühmte tiefe Canyon von Axat.

Zunächst ging es auf prächtiger Straße in den engsten Haarnadelkurven, die ich bisher fuhr, endlos bergab. Das folgende Bild deutet nur einige aus dem oberen Teil an:

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Unten führte die Straße eingeklemmt zwischen Fluss und Felsen in schmalen Windungen immer bergab, teils lagen Steine auf der Fahrbahn, teils gab es Rollsplitt - man musste immer aufpassen, es war echt interessant und wunderschön. Schließlich stiegen die Wände bis zum Himmel an, und wir durchquerten die viel zu kurze Axat-Schlucht:

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Nach der Schlucht bildete der starke Wind (schon ein Mistral, sagte Peter) offenbar riesige Wirbel, ich konnte unmöglich mit konstantem Tempo führen und musste aufpassen, vor allem Klaus nicht davon zu fahren.

Abends die obligatorische Stadtbesichtigung. Ich kletterte noch auf einen Hochbehälter auf der Burg, um einen Rundumblick zu haben. Wir aßen unter anderem ein relativ fettes Gericht mit dicken Bohnen, es schmeckte vorzüglich.

7. Etappe: Quillan - Perpignan (Genussetappe)

131.9km, 24.2km/h, 1350Hm, 5h26m netto / 6h38m brutto

Pässe: Col de Aussieres, Col de Anzines

Zu unserer großen Freude durften wir ein Stück der letzten Etappen zurück fahren. Durch die Axat-Schlucht kamen wir aber nicht noch einmal. Erstaunt stellten wir fest, dass wir am Vortrag das letzte Stück bergan gefahren waren. Wegen des starken Windes hatte man dafür sowieso kein Gefühl gehabt.

Es war ein herrlicher Morgen. Unter den tief hängenden Nebelwolken spielte die Sonne mit weißen Kalkwänden und -nadeln und den Büschen und Wäldern. Es ging uns gut, vor allem Klaus. Mit 60km/h bretterte er einmal über nicht nivellierte Eisenbahnschienen, und es passierte nichts. Ich erfuhr zum ersten Mal, dass man mit 46:12 noch auf 63km/h leicht bergab sprinten kann (das ist eine 130er Kadenz). In einer engen Schlucht zeigt sich rechts ein interessanter Wasserfall:

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Ich erzähle diverse starke Witze, was die beiden effektiv am schnellen Fahren hinderte.

Peter und ich jagten uns dann gegenseitig auf den relativ flachen ersten Pass im dichten Wald hoch. Ich war wohl etwas schneller. Das spielte keine Rolle mehr. Am letzten Tag wird das gelbe Trikot (das ich wegen der Wärme trug) nicht mehr angegriffen. Peter trug eine rote Weste, sprich das Bergtrikot, das ich ihm ohnehin nicht mehr nehmen konnte (da hätte ich am Tourmalet nicht bummeln dürften). Und Klaus mit seinem Festina-Trikot ... reden wir lieber nicht darüber, sonst werden die Medien nur auf ihr Lieblingsthema aufmerksam.

Es ging jagend hinab, die Landschaft wurde "korsischer". Sprich, weniger Bäume, Häuser mehr wie Mittelmehr, Urstein, Felswände in der Ferne (so ist Korsika im Norden, allerdings nur in Küstennähe). Der letzte Pass war eine harmlose schräge Straße. Dann ging es endlos hinab an Erdpyramiden vorbei:

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Schließlich - das Mittelmeer, wir stehen auf der Mole von St.Cypriens/Port:

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(wegen des Selbstauslösers ist vom Meer nur ein Stück rechts zu sehen). Das Meer war herrlich blaugrün und mit weißen Schaumkronen bedeckt. Beim Zielfoto mit uns dreien, mit den Rädern im Wasser stehend, war meine Speicherkarte gerade voll, und die dritte war im anderen Rucksack. Muss ich eben ein Analogfoto scannen.

Peter fuhr mit Marianne und dem Auto nach Perpignan, Klaus und ich mit dem Rad. Es wurden 16km gegen den Mistral. Ich hatte gerade eine schlechte Nachricht bekommen und keine Muse mehr, mich übermäßig anzustrengen. Viel mehr als 24km/h gegen diesen Orkan waren wohl auch nicht sinnvoll.

In Perpignan kamen wir zwar direkt zum Hotel, doch es war in dieser großen Stadt mit ihrem irren Verkehr ungemein stressig. Irgendwie war ich ziemlich alle mit einem Mal.

Wir machten noch eine grobe Stadtbesichtigung

(Foto)

und aßen vorzüglich - sogar italienische Gerichte hatten dort das besondere Etwas. Unangenehm: Es gab dort viele junge Bettler, man wurde ständig angegangen. Wie bei uns.

Der Mt.Ventoux (28.8.) und das Kompott

Eigentlich wollten wir uns auf der Heimfahrt noch den Mt.Ventoux antun, den Berg der Berge, den auch Armstrong fürchtete. Leider bemerkten wir, dass das zeitlich nicht zu schaffen ist - Klaus musste am nächsten Tag in Aachen sein, und uns erwarteten noch ungefähr 2000km Rückfahrt. Also fuhren wir mit dem Auto drüber, Peter nun leider schon zum dritten Mal. Ein interessanter Markt in Bedoine hielt uns wegen Besichtigung und Umleitung nochmals auf.

Der Ventoux muss mal werden. Der ist ja unglaublich beeindruckend. Und schwer, die Radfahrer quälen sich an sehr steilen Anstiegen im Wald hoch, alle schon unten fertig. Und keiner hat mir erzählt, was für eine geniale Sicht von oben herrschen kann:

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(Foto)

Ich kaufte noch ein Andenken, nur das Finisher-Trikot musste warten: Erst mal aus eigener Kraft hier hochkommen.

Wir suchten eine Weinkooperative, in der Peter und Marianne einst waren, und fanden sie auch. Zur Abfüllung gab es hier einen Liter Tischwein (gut!) für 1 Euro, der beste 1.60 Euro. Ich kaufte wegen der Transportprobleme eine Flasche preisgekrönten Weins für nur 3.20 Euro. Der muss zu einer besonderen Gelegenheit fallen.

Vor Lyon gerieten wir wieder in Wolkenbrüche, in denen man nur schleichen konnte. Bei Macon erwischten wir ein sehr preiswertes, einfaches Etap-Hotel, leider im Gewerbegebiet. Nach all den kulinarischen Köstlichkeiten begaben wir uns nun auf das untereste Niveau dessen, was man Essen nennt. Nein, ich nenne den Namen dieser populären Kette, wo es überall gleich schlecht schmeckt, nicht, ich bekomme es nicht fertig, ich schäme mich dafür.

Am nächsten Tag waren wir 20:00 endlich wieder im Dorf bei Braunschweig. Geschafft.

Peter führte mich am folgenden Mittwoch (30.8.) noch auf eine Runde über den Elm, und mit meinem Steigungsmesser zerstörte ich ihm eine lang gepflegte Illusion: Der Amplebener Berg am Elm hat statt der behaupteten 14.4% (wer kann das so genau messen??) nur die angeschriebenen 9%. Ich wäre einen 14% nie und nimmer in diesem Zustand mit 13-14km/h hochgefahren. Allerdings ziemlich am Anschlag, und nach 1km wurden die Beine so dick, dass das Tempo für einen Moment einstellig wurde. Ich bin aber auch schon viel langsamer gefahren.

Außerhalb des Waldes empfing uns ein heftiger Sturm, der über 8km nur noch 22km/h zuließ. Ich fuhr Peter mal ordentlich davon, der sich für einen Triathlon am Sonntag schonte.

Es wurden 105km mit 1200Hm und einem Schnitt von 26.2 - das ist immer noch schnell. Nun ja, Weststraßen sind eben schneller als die bei uns im Osten, und die in Tschechien erst recht :-)

Die Form war mehr Einbildung. Auf einer sehr gemütlichen und netten (wenngleich 150km langen) Tour am Samstag durch Tschechien, bei der der Ventoux-Wein würdevoll geschlachtet wurde, merkte ich doch, dass ich etwas gemacht hatte ;-)

Abgenommen habe ich kaum während der Tour, vielleicht 1kg. Es war auch nicht mehr viel Reserve da. Aber wir haben binnen einer Woche ein Erlebnis gehabt, das stärker nachwirkt als ein zweiwöchiger Abenteuerurlaub, egal ob auf dem Rad oder in den Alpen auf Hochtouren. Noch am 3. Tag sagte ich mir: Du protokollierst das hier für die Anderen, selbst tust Du Dir so etwas nicht noch einmal an. Aber dann begann schon die Sucht. Und beim Betrachten der Bilder komme ich gar nicht mehr los davon ...

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