@(#) Jun 28 2004, 17:53:28

Brenta-Urlaub 2001

Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)

Der im folgenden beschriebene Urlaub war typisch für unsere Gruppe - erlebnisreich, sehr schön, anstrengend, teils etwas abenteuerlich. Ich lege das Tagebuch nur deswegen ins Web, um nicht 5-10 Leuten immer wieder dasselbe erzählen zu müssen. Man sollte moderne Technologien doch zu seinen Gunsten nutzen, anstatt ihr Sklave zu werden:-)

Wenigstens zwei Arten, in den Alpen Urlaub zu machen

Leider scheinen in unserer hektischen Zeit viele zu glauben, auch ihren Urlaub "effektiv" verbringen zu müssen: Ab in's Auto, schnell in die Alpen, eine "wichtige" Tour absolviert - und zurück nach maximal 3-4 Tagen in's Arbeitsleben. Diese Aussage maße ich mir an, nachdem ich im letzten Jahrzehnt etwa 7 Monate in den Bergen verbrachte und wir dabei unzählige Hüttenbesucher kennenlernte. Vorteil dieser Urlaubsart sind ein leichter Rucksack, Flexibilität und wohl auch ein leichteres "Überleben" der mangelhaften Hygiene, jedenfalls nach Ansicht der Kurzurlauber.

Daß bei dieser Art von Aufenthalt die Erholung fragwürdig ist, von Akklimatisation und notwendiger Umstellung auf hohe Belastung ganz zu schweigen, ist für mich kein Diskussionspunkt.

Wer sich aus beruflichen oder anderen Gründen nur Kurzurlaube genehmigen kann - OK; wir jedenfalls machen Urlaub im "alten" Stil: Zwei Wochen, mit schwereren Rucksäcken, immer mehrere Tage in einer Hütte möglichst weit oben. Erholung (im weiteren Sinne) und Anpassung an Belastung und Höhe sind dabei optimal, die angeblichen Schwierigkeiten auszuhalten und im Vergleich zu größeren Unternehmungen wie Reisen auf andere Kontinente oder gar Expeditionen sowieso nur Spaß.

Auf in die Brenta

In den Dolomiten waren wir schon oft, nur die "sagenumwobene" Brenta fehlte eben, berühmt für sehr ausgesetzte (exponierte) Klettersteige und kühne Gipfel, allen voran der Campanile Basso, auch Guglia di Brenta genannt. Auf diese 300m hohe Nadel wollen wir nicht steigen, da wir uns noch nicht in diesem Schwierigkeitsbereich im Hochgebirge bewegen und es auch eine Frage der Ausrüstung ist. Unsere Rucksäcke sind schon schwer genug. Neben all dem Zeug, was man für 14 Tagen im Hochgebirge ohnehin braucht (Kleidung, Biwaksack, Verpflegung, Hygieneartikel ...), kommen natürlich die Klettersteigausrüstung und noch ein Seil hinzu, denn wir wollen nach Möglichkeit die zwei höchsten 3000er mit besteigen - ohne Klettern geht das dort nicht. Ach ja, und Steigeisen kommen auch noch hinzu. Das gab Diskussionen, doch alle Literaturstellen warnten davor, Schneefelder und Gletscher zu unterschätzen. Ich hätte auch noch auf dem Pickel bestehen sollen, er fehlte mir. Skistöcke ersetzen keinen Eispickel, und genügend Brenta-Besucher liefen auch damit herum.

Soviel zur Ausrüstung. Unsere "Mannschaft" besteht aus vier Leuten: D1, D2, Susi und mir. Die ulkigen Namen D1 und D2 wurden vergeben, weil beide Dietmar heißen und schließlich irgendwie unterschieden werden müssen. Wir alle gehen schon mindestens seit 15 Jahren gemeinsam klettern. D1 und ich haben die größte Alpenerfahrung, Susi und D2 trieben sich bereits in Südamerika herum. Susi stand sogar schon auf dem Aconcagua (fast 7000m).

18.8.2001 - Anreise

Alle vier sind wir chronische Nicht-Autofahrer. Eine solche lange Anreise mit dem Auto - von Dresden nach Trient (Trento) und hoch nach Madonna di Campiglio - wäre auch keine Freude. Da bietet die Bahn doch ganz andere Abenteuer und fördert obendrein die Geselligkeit. Wir haben die Wahl, entweder die DB-genehmen 360 DM für die Strecke nach München und zurück zu bezahlen (selbstverständlich mit dem ICE :-), oder eine Stunde länger zu fahren und dafür nur 20 DM pro Nase zu berappen, nämlich per Wochenendtickets. Alpinisten stecken ihr Geld lieber in Wein, Essen und Ausrüstung - damit war die Wahl klar.

Leider verfahren nicht nur Alpinisten so. Die katastrophalen Wirkungen der ICE-Neigetechnik (ständige Pannen, seekranke Fahrgäste und Schaffner) führen dazu, daß so gut wie alle Welt mit den Regionalbahnen fährt. Bis Zwickau geht es ja noch ganz gut, aber dann beginnt das Gewühle. Um es vorwegzunehmen: Wir haben durchweg Sitzplätze ergattert. Einfach ist das aber nicht gerade. In Zwickau wird das Gedränge so groß, daß man sogar die Polizei zu Hilfe ruft, die aber gar nicht weiß, was sie tun soll. Schlimmer war es zu DDR-Zeiten auch nicht.

In Nürnberg bleiben uns nur 6 Minuten zum Umsteigen (tatsächlich, der Zug ist pünktlich!!). Ein Rucksackriemen von D1 bleibt im Gepäckgitter hängen, so daß er nicht aussteigen kann, während die Leute schon hereinstürmen. Das ist Streß pur. Man kann aber auch mit großem Rucksack noch rennen. Wir sitzen wieder, im Zug nach München, während nach uns die Sintflut hereinstürmt. Hier verkehren keine Neigetechnik-ICEs mehr, das Gedränge muß durch die Preise und das Zugangebot verursacht werden.

Ein Spaziergang durch das abendliche München bei Sommerwetter bis zum Rathaus beruhigt die Nerven und die angespannte Muskulatur. Es ist schön um diese Zeit hier.

Der überfüllte Nachtzug nach Italien erscheint uns vergleichsweise recht leer. Selbstverständlich sitzen wir wieder und können sogar schlafen, unterbrochen durch die Paßkontrolle, an die sich die österreichische Gendarmerie seit dem letzten G8-Treffen offenbar gewöhnt hat. 4.10 Uhr treffen wir in Trient ein und nutzen den Besuch am Geldautomaten zu einem kurzen nächtlichen Stadtbummel. Auch um diese Zeit ist das Zentrum sehr schön ...

Den fehlenden Schlaf holen wir auf den weichen Marmorbänken in der Bahnhofshalle nach, bis uns früh ein freundlicher Polizist in die Senkrechte treibt. Nach einem Capuccino treten wir 8.00 eine herrliche, zweistündige Busfahrt bis nach Madonna di Campiglio an. Einige Rennradfahrer auf der Strecke machen mich richtig neidisch. Überhaupt, die Busfahrt könnte Teil einer Runde für das Forumstreffen sein. Leider enthält sie lange Tunnel.

Gegen Ende zeigen sich rechts viele Zacken und hohe Berge, teils mit Schnee. Das sieht schon eine Nummer wilder aus als Rotwand oder Langkofel: Es ist die Brenta.

Wir traben los, zunächst auf fast ebener Straße zur Valesinella-Hütte. D1 hängt wie immer weit hinten, D2 ist die ersten Tage immer vorn (er läuft sehr gut), die zähe Susi hängt wie immer bei D2 und mir dran. Mein Rucksack wiegt knapp 30kg, denn ich trage für die anderen z.B. Seil, Eierteigwaren und Salami, während D2 u.a. das Kochzeug schleppt. Wir essen ja auch in der Hütte, aber das allein reicht nicht für zwei Wochen, wie wir vor drei Jahren im Südbergell schmerzlich erfahren mußten. Schwere Rucksäcke machen schnell, wie sich zeigt - D1 hat einen leichteren ...

Danach wird es deutlich steiler. Die 300Hm zur Casinei-Hütte laufen D2 und ich vorn. Es ist die übliche Schinderei des ersten Tages, allerdings aus Konkurrenzgründen verschärft: Unser Aufstiegstempo scheint momentan 600Hm pro Stunde zu betragen. Man gewöhnt sich daran. Insgesamt sind nur ca. 700Hm bis zur Brentei-Hütte zu überwinden, doch die Strecke zieht sich. Und mein Rucksack zieht mich nach unten. Susi und D2 laufen gegen Ende vorbei. Susis Rucksack ist unfair leicht, denn sie will alles in der Hütte kaufen (das ist uns ehrlich gesagt zu teuer), und außerdem ernährt sie sich viel von Bergluft und Kohlrabi. Zugegeben, wir haben uns an ihrem Kohlrabi auch mit schadlos gehalten :-)

In der Brentei-Hütte (ca. 2200m) bekommen wir sogar ein Zimmer für uns, das wir fast eine Woche behalten. Gegenüber die 800m hohe NW-Kante des Crozzon di Brentei, links davon eine 900m hohe Eisrinne auf die Cima Tosa, den höchsten Brenta-Gipfel, ringsum steile, gelbrotschwarze Wände - toll hier. Hier bekommst Du ein Gefühl für Höhe: Von Trient aus fährst Du zwei Stunden vorwiegend bergauf, dann läufst Du knapp 4 Stunden nur bergan, und dann blickst Du 1000m hoch zum Gipfel ...

Den Ball erst einmal flach halten

Ich habe 3 Jahre keine schwereren Touren in den Alpen unternommen und war die letzten 3 Wochen sportlich auch nicht so aktiv wie vorher. Also besser klein anfangen. Das stößt auf Gegenliebe. Wir entschließen uns für den Klettersteig SOSAT, angeblich leicht. Einsetzender Nieselregen verhindert sogar dieses Unternehmen. Bis auf zwei Spaziergänge mit insgesamt 500Hm wird am ersten Tag nichts. Oder vielmehr doch: Der übliche Liter Rotwein am Abend. Die Essensportionen fallen arg mager aus, dafür ist die Bedienung rekordartig schnell. Es vergingen bei manchen Bestellungen wohl nur 15 Sekunden bis zur Lieferung. Und das alles erledigen zwei junge Mädchen in der proppevollen Hütte, immer flott und gut aufgelegt - glattweg undenkbar bei uns ;-)

Am nächsten Tag, dem 21.8., endlich schönes Wetter - der SOSAT kann werden. Am Anfang muß ich mich immer erst einmal an die steilen Geröllhänge gewöhnen. In der Praxis wird man wohl kaum stürzen können, aber es demoralisiert doch etwas, wenn es nach 10m rutschigem Hang 100m oder mehr senkrecht in die Tiefe geht und nichts zum Festhalten da ist. Mit der Zeit kommen aber Trittsicherheit und Vertrauen in das Gelände wieder.

Eine 15m hohe, senkrechte Leiter, zudem ziemlich ausgesetzt, schockiert mich doch etwas. Ich war schon auf einigen sog. schweren Klettersteigen (z.B. Sellagruppe, Pisciardu, mit 25kg Gepäck auf dem Rücken), aber das zerrt doch an den Armen. Jedenfalls, wenn man sich sichert. D2 und Susi klinken sich nicht ein; D1 und ich, die viel öfter in den Alpen waren, sehen das anders. Susi hat sowieso nur eine 7mm-Reepschnur am Gurt festgebunden, ein Witz (und Grödel statt Steigeisen, war zum Glück reicht). Aber sie ist über 18 und darf eigentlich tun, was sie will - nur haben wir keine Lust, bei einem Unfall dabei zu sein :-(

Ansonsten ist der Klettersteig vorbildlich gewartet, wie wir es von Italien kennen (mit Grausen erinnere ich mich an das unglaublich brüchige und steinschlaggefährdete Birkkar am Hochkönig, in dem fast alle Sicherungen verschwunden waren!), nur die Leitern selbst erwecken auf den "schweren" Steigen mehr Vertrauen als hier. Landschaftlich ist der SOSAT sehr schön. Nach 2.5 Stunden schon sitzen wir vor der Tuckett-Hütte bei sonnigem Wetter und schauen auf den langen Tuckett-Gletscher oder vielmehr auf das, was davon übrig geblieben ist. Diese Hütte ist in 1-2 Stunden von der Groste-Seilbahn aus zu erreichen, was sich im Publikum bemerkbar macht. - Auf relativ normalen Pfaden kehren wir zum Basislager Brentei-Hütte zurück. Na, hoffentlich werden die "großen" Klettersteige nicht wesentlich schwieriger (es soll ja überhängende Leitern geben, erzählte man uns ...).

Wie üblich ziehen gegen Mittag die Brenta-Nebel auf. Aber das Wetter ist gut.

Es soll hier 10-12 Bären geben. Das einzige, was für uns mit Bären zu tun hat, war, daß ein humpelnder, riesiger schwarz-weißer Hüttenhund Gummibärchen frißt ...

Das erste Tor: Cima Tosa 3173m

Das Wetter ist gut, wir sollten es nutzen. Auf vielerlei Gründen wollen wir schon am 22.8. auf die Cima Tosa, den höchsten Gipfel der Brenta. 35m Kletterei bis zum Schwierigkeitsgrad II sind angekündigt, weite Schneefelder oben. Also heißt es alles einpacken, was wir so an Gerümpel mithaben. 6.45 stehen wir in der Spur.

Ein langer, einfacher Weg führt über ein erstes Schneefeld zu einem versichterten Steig, der teilweise sogar etwas ausgesetzt ist. Allerhand Leute sind unterwegs, u.a. vier Italiener, teilweise im Marco-Pantani-Look, mit Kletterzeug. Ob die auch auf die Cima Tosa wollen? Noch ein steileres Schneefeld, dann der Paß und - ein mächtig steiles Schneefeld ist bis zur Pedrotti-Hütte zu queren. Es gibt eine gute Spur, aber in Rutschen kommen möchte man hier ohne Pickel keinesfalls. Nur D1 und ich nehmen aber Skistock bzw. einen spitzen Stein in die Hand. Naja, D2 können wir später ein paar Mal überzeugen; er ist übrigens ein guter und lernwilliger Bergsteiger ...

Der Weiterweg ist lang - es geht um die Ecke in einen großen Kessel leicht hinab, dann endlos immer bergan. Es werden immer mehr Schneefelder. Soviel Firn in nur 2600m Höhe, und das nach Mitte August! Ein Feld ist recht steil am Ende. Wir lassen die Leute vorsichtshalber erst einmal weglaufen, damit uns keiner auf den Kopf rutscht und mitreißt.

Beinahe hätten wir den Abzweig zum Gipfel verpaßt. Unsere vier Italiener stehen schon dort, sonst wären wir wohl zu weit gelaufen. Hm, sieht etwas putzig aus, das Gelände - der schwarze Kamin ist ein ganz anderer, als wir dachten. Die Beschreibung ist ein bißchen schwammig an dieser Stelle. Wir dachten, die Alternative zum Kamin wären die Schrofen (steile Kraxelei) rechts von einem zweiten Kamin. Aber für Schrofen ist das entschieden zu steil, sieht nicht so gut aus. Trotzdem steigt einer ohne alle Ausrüstung ungesichert dort hoch. Kann ja ein guter Mann sein, doch er sucht auch lange herum. Also wohl eher einer der unzähligen Leichtsinnigen in den Alpen.

Die vier jüngeren Italiener haben zwar keine Helme (das ist wirklich unvernünftig!), sind ansonsten aber ganz scharf ausgerüstet: Klemmkeile, sogar Friends, massenhaft Schlingen und Karabiner, Pickel ... Wir stehen mit unserem Halbseil, 3-4 Schlingen und 4 Karabinern (aber Helmen!) recht verloren daneben. Doch Ausrüstung hilft allein wenig, klettern muß man noch selbst (das gilt beim Alpinismus noch viel mehr als beim Rennradfahren).

Der Freikletterer war falsch, die besagten Schrofen sind im Kamin und recht speckig. Alternativ kann man im Kamin selbst hoch. Momentan geht das noch, später sorgt dort ein Wasserfall für Erfrischung. D2 nutzt die Gunst der Stunde und steigt vorsichtig ungesichert im Kamin hoch. Mir erscheint das zu naß, außerdem habe ich nach der langen Pause noch ziemlichen Respekt vor dem Berg.

Der erste Italiener klettert ganz zügig hoch, der zweite bindet sich in die "Mitte" des Seiles ein und steigt hinterher - so gut wie beim Ersten sieht es nicht mehr aus, doch es geht. Weil aber die Wand 35m hoch ist, kommt, was kommen mußte: Das Seilende entschwindet plötzlich nach oben, und die beiden Wartenden schauen ihm verdutzt hinterdrein. Nach zwei Minuten geht das Gebrülle los. Natürlich hört keiner den anderen richtig, der Weg biegt obendrein um die Ecke (also läßt sich das Seil nicht einfach hinunterwerfen). Wir wollen gern helfen, doch meine Italienischkenntnisse sind stark Speisekarten-orientiert, und unsere Gefährten sprechen praktisch kaum Englisch. Die Lösung ist italienisch: Kein Drama, aber viel spetacollo; letztendlich wendet sich alles zum Guten, teils mit Hilfe von Susi, die D1 hinterherstieg und deren Seil manövrieren hilft.

Ich bin als Letzter dran - ca. 40 Minuten haben wir locker verloren. Eigentlich haben wir Zeit, nur sollte man im Hochgebirge nie unnütz bummeln. Der speckige Fels, blankgeschabt von Tausenden vor mir, und der Rucksack mit Skistöcken dran behindern doch ganz schön - ich bin schon eleganter geklettert.

Anschließend geht es über endlose Wandstufen und Schrofen, unterbrochen von unzähligen Firnfeldern (leider teils steil, hier fehlt wieder der Eispickel), immer weiter aufwärts. Ab und zu hilft ein Steinmann bei der Orientierung. Ich merke die Höhe am Lauftempo, obwohl mir Susi freundlicherweise das Seil abgenommen hatte. Schließlich gibt es nur noch Firn. Wir kommen auf ein hochalpines Plateau: Eis, Geröll, Nebelfetzen, Sonne, nichts weiter. Der Gipfel ist flach, die Fernsicht nur mittel, die Stimmung prächtig. Es sieht nicht wie 3173m aus, sondern wie über 3600m! Wir waren etwas schneller als geplant, trotz des besonders weiten Anwegs und der Verzögerung beim Klettern: Nur 4.5 Stunden ab Hütte brauchten wir. Die Italiener freuen sich ebenso wie wir; beim gegenseitigen Fotografieren albern wir ordentlich herum. Noch ein Abstecher hinüber zur Madonna, aber keiner mehr zum flachen Nordgipfel (von dort aus soll man die Guglia besonders gut sehen) - wir wollen doch lieber erst einmal hinunterkommen. Steigeisen angelegt, und abwärts geht es. Die Orientierung im Nebel wäre schwer, doch zum Glück sind es nur Nebelfetzen.

An der Abseile hängen schon die vier Italiener vor uns, natürlich braucht alles wieder seine Zeit, sehr viel Zeit. Nebenan wartet ein Ehepaar, von dem die Frau offensichtlich zum allerersten Mal abseilen soll. Wir suchen uns sicherheitshalber eine Abseilstelle weiter unten (erst war mir nicht ganz wohl dabei, aber es ging) und überholen sie alle. Steinschlag kommt zum Glück keiner, alle waren vorsichtig.

Auf dem langen Heimweg gibt es allerhand lustiges Volk zu sehen. So ein älteres Ehepaar (deutsch oder italienisch? - egal), das sich wie auf alten Bildern sichert, wo es eigentlich gar nichts zu sichern gibt: Seil um den Bauch (es sieht aus wie ein altes Hanfseil, ist aber ein richtiges), der Mann mit ein paar Seilschlingen in der Hand - es fehlen nur noch der Filzhut und der Alpenstock, ansonsten stimmt das Outfit. Am seltsamsten ist ein Typ mit kurzen Hosen, riesigem Brustbeutel und winzigem Rucksack sowie großem Sombrero, der uns zu später Stunde am steilsten Schneefeld entgegenkommt. Er hat sonst überhaupt nichts mit und stochert ganz langsam mit seinen krebsroten Händen im rauhen Firn herum, schneckengleich Höhe gewinnend. Er fragt uns langsam in vermutlich schwäbischem Dialekt nach einer sehr entfernten Hütte, nickt zu allen Warnungen und stiefelt dann bedächtig weiter. Wenn solchen Leuten etwas zustößt, gelten sie wohl mit großer Wahrscheinlichkeit als vermißt.

Die vier Italiener überholen uns, denn sie müssen noch zur Valesinella-Hütte absteigen. Alle Achtung! Sie wünschen uns "Auf Widdersenn!" und wir ihnen auch. Das Wiedersehen ereignet sich jedoch bereits an der Brentei-Hütte, als sie gerade jeder eine Flasche Bier holen. Sie haben es sich verdient, so wie wir unseren Rotwein. Jaja, die Italiener trinken Bier, wir Rotwein :-)

8:45 Stunden waren wir unterwegs, ein großes Erlebnis, wirklich schön. Das hat mir seit langem gefehlt und möbelt mich moralisch mächtig auf.

Steilere Pässe, in beiden Sinnen des Wortes ...

Nach dem flachgehaltenen Ball am ersten schönen Tag und dem ersten Tor sollte das Spiel bald richtig losgehen. Aber erst einmal wollen wir den Sentiero Orsi machen, einen ebenfalls leichten Klettersteig. Er soll tolle Blicke auf die Ostseite der Berge ermöglichen. Diesmal stiefeln wir zivil zur Tuckett-Hütte, nicht über den SOSAT-Steig, und in 20 Minuten den Gletscher hoch. Es ist kein richtiger Gletscher mehr, nur noch Resteis. Ich vermute es jedenfalls, er hat nicht mal eine richtige Randkluft. Aber vielleicht täuscht auch der viele Schnee dieses Jahr.

Das Problem des Weges besteht im folgenden, gesicherten Geröllabstieg: Das Stahlseil verschwindet unter meterdickem, sehr steilen Firn. Ohne Pickel gehe ich dort nicht drauf. An der Seite finde ich zwischen brüchigem Schutt und Firnfeld eine Abstiegsmöglichkeit, bis ich endlich an ein Seil gelange. Die anderen hinterher. Ich komme in Bruchgelände besonders beim Anstieg ganz leidlich zurecht und laufe deswegen ausnahmsweise mal etwas vornweg. Aber die anderen kommen nicht. Ich sehe nur D2, wie er immer nach oben schaut. Wie sich herausstellt, mußte D1 Bergretter spielen, denn ein Tourist war auf dem steilen Schneefeld ausgerutscht und mindestens 20m nach unten gerutscht. Dank des weichen Firns stürzte er nicht weiter, doch die Haut um die Ellebogen soll weg gewesen sein. Eigentlich sollte jeder aus so einem Unfall sofort lernen, sonst wird er nicht alt im Hochgebirge. Leider dauert das Lernen teilweise doch länger :-(

Der Orsi-Steig ist herrlich, nur kein Klettersteig. Und der berühmte Guglia-Blick ist selbstverständlich schon vernebelt. Wir sehen nach einer halben Stunde Wartens die obere Hälfte und zwei tolle Spitzen rechts davon. Aber die Wände ringsum: beeindruckend.

Nach 7 Stunden trudeln wir bei Schönwetter an der Hütte ein. Der Materialseilbahn von der 400m höher gelegenen Alimonta-Hütte entsteigen ein Mann und ... ein Kind. Wer weiß, wie solche Seilbahnen aussehen und über welche Abgründe sie schweben, kann nur staunen. Beide machen einen sehr munteren Eindruck.

Wir grübeln darüber nach, wozu die Goldkettchen gut sind, die viele besonders schicke Wanderer tragen. Vermutlich dienen sie dazu, bei überzogener Hüttenrechnung ohne Tellerwaschen wieder ins Tal absteigen zu dürfen. Außerdem ersparen sie u.U. eine peinliche Bonitätsprüfung bei der Ankunft ;-)

In der Hütte gibt es viele Kletterer, u.a. lernen wir zwei Münchner näher kennen. Erfreulich - sonst trifft man vorwiegend Sportkletterer; hier werden noch richtige große Wände gestiegen. Einer der beiden ist Sportstudent und klettert schon seit 5 Wochen in den Alpen. Leute, die so lange in den Bergen hausen, bekommen ein bestimmtes Aussehen. Er erinnert mich an die Polen im Zeltlager am Morskie Oko, die manchmal 2-3 Monate dort kampierten.

Der sogenannte oder auch Ruhetag

Weil wir spätestens am Samstag unser Lager räumen müssen, steigen wir am Freitag (4 Monate vor Weihnachten) zum Einkaufen nach Madonna ab. Nach 2:15 Stunden sind wir schon unten in der tropischen Hitze von 22 Grad. Im ersten Markt will Susi noch nicht einkaufen, sie will erst baden gehen ("und außerdem liegt dann das Zeug stundenlang in der Sonne herum, und es gibt bestimmt noch einen Supermarkt hier"). OK, also erst einmal zur Seilbahnstation, denn wir wollen zurückzu "tricksen". Die Seilbahn ist natürlich 100Hm weiter oben, wozu man erst durch den gesamten Ort durch muß, in stinkendem Verkehr und wie gesagt tropischer Hitze. Nun kennen wir unsere Deadline (Schlußzeit der Seilbahn) und können die Suche nach einem angeblichen Schwimmbad fortsetzen. Das ist nämlich auf der Kompaß-Karte eingezeichnet, die wenig taugt, aber lesbarer ist als die DAV-Karte mit ihrem katastrophalen Layout. Ein Mann mit Goldkettchen spricht Englisch und bezweifelt, ob das Bad noch existiert in diesem Nobelhotelort. Hm, vielleicht steht das Goldkettchen auch für Fremdsprachenkenntnisse? ;-)

Wir finden den Supermarkt, der inzwischen wegen Siesta geschlossen hat. Oh, peinlicher Anfängerfehler. Ich bin doch mindestens das achte Mal in Italien ... Also wieder zurück zum Ortseingang, der erste (teure) Markt hat noch offen. Und wieder hoch, weil es so viel Spaß macht. Zwischendurch aber die Hauptsache: Pizza, Salat, Dolce (eine Super-Frucht-Quarktorte), Capuccino, Vino rosso ... Das Leben in den Alpen ist doch schön.

Eine letzte Chance zum Baden gibt es doch. Oben, am Passo Carlo Magno, ist ein Teich eingezeichnet. Die rhombische Form verheißt nichts Gutes. Richtig: Er gehört zu einem Golfplatz :-(((

Für nur 15 kL (Kilolire, also 15 DM) fahren wir 20 Minuten lang Seilbahn hoch zum Groste-Pass (ca. 2500m) und wandern in 2.5 Stunden über die Tuckett-Hütte zurück zu unserem Domizil. Vermutlich sind wir doch um die 25km gelaufen an diesem Ruhetag. Nennen wir ihn Einkaufstag. Mann, sind wir alle.

Der Drang nach Höherem

Am Samstag, dem 25.8., ziehen wir erst einmal mit unseren Riesen-Kiepen 400m höher zur Alimonta-Hütte (2591m). Eine Stunde dauert die Quälerei in drückender Sonnenhitze. Eine schöne Hütte. Die Eßportionen sollen hier deutlich größer sein, die Lager sind anscheinend auch billiger - seltsam, es ist doch eine private Hütte ...

12.00 ziehen wir zu einem Abstecher zum Gipfel Cima Molveno (2911m) los. Erst ein ganz leichter Klettersteig, dann Geröll, oben fürchterlicher Schutt. Aber auch das muß man üben. Wir versteigen uns und landen im obligatorischen Nebel auf dem nördlichen Vorgipfel. Beim Abstieg müssen wir sehr vorsichtig sein. Susi schimpft wie ein Rohrspatz und steigt wutentbrannt ab, aber besser in solchem Bruch vorher üben, als unter Streß damit konfrontiert zu werden. Ich finde den richtigen Weg dann recht schnell - er ist logisch und deutlich angenehmer. Aber am Gipfelkopf kneifen wir doch. Das sieht zu brüchig und ausgesetzt aus, das wollen wir ohne Seil nicht riskieren. Also ein halber Gipfel :-) Nach 3 Stunden trudeln wir wieder an der Hütte ein.

Auch in dieser Hütte eine superschnelle Bedienung. Der "Oberkellner" im Marco-Pantani-Look trägt ein Kind im Tragegestell auf dem Rücken. Dank einer fortlaufenden Reihe von Wundern wird dessen Schädel nicht an einem der zahlreichen Pfosten zerschmettert. Es gibt keine Zusammenstöße, obwohl es immer kurz davor ist, kein Glas fällt herunter (was in der Hütte unten doch mal passierte), Laufschritt ist die grundsätzliche Fortbewegungsart hier. Und die Portionen sind bei gleichen Preisen einfach riesig, die Speisekarte ist sehr lang. Toll! Essen ist ohnehin das Wichtigste, noch vor dem Wetter (schönes Wetter ohne Essen nützt wenig, aber Essen ohne schönes Wetter geht zu ertragen). Und es arbeitet erstaunlich viel Personal hier oben.

Wir erhöhen die tägliche Rotweindosis auf 2 Liter zu viert.

Zwei Südtirolerinnen klären uns auf, daß sie keinesfalls Italienerinnen sind, und staunen, was wir 14 Tage lang in der Brenta machen. Die eine schafft ja nicht einmal ihr Omelett "Raffael". Sieht allerdings gewaltig aus ...

Die Wirtin erzählt uns, daß soviel Schnee wie seit 15 Jahren nicht mehr liegt. Als sie im Juni ankamen, mußten sie sich von oben in die Hütte eingraben.

Ordentliche Ferratas

Bei bestem Wetter ziehen wir am 26.8. um 7:45 los zum Sentiero Centrale, dem schönsten Abschnitt des Bocchette-Weges längs durch die Brenta. Üblicherweise steigt "man" mit leichtem Rucksack aus der Groste-Seilbahn (so wie wir vorgestern) und "erledigt" dann in z.B. 4 Tagen die Brenta von Nord nach Süd. Wir wollen mehr erleben. Aber die Alimonta-Hütte ist wegen des genannten "Brauchs" Durchgangsstation für die Klettersteigbegeher, manchmal (leider) fest in deutscher Hand. Unten hatten wir häufiger Kontakte zu den Besuchern.

Also, der Centrale. Über einen fast toten Gletscher geht es aufwärts zur Scharte und dann gleich sehr luftig los. Die Bänder sind oft schmal, der Weg sehr ausgesetzt, so wie auf vielen Bildern gezeigt. Aber alles ist hervorragend versichert, kein Problem. Kritisch bei Klettersteigen sind bekanntlich die nicht versicherten Stellen.

Bei schönstem Wetter turnen wir um die Guglia herum und beobachten etwas neidisch die Kletterer dort. Ein toller Gipfel, fürwahr. Hochinteressant geht es an dickem Firn vorbei durch die Scharte zur Südseite. Dort zieht sich in dreistelliger Höhe ein oft nur 30-40cm schmales Band an der Wand viele hundert Meter entlang, wie üblich sehr gut per Stahlseil versichert. Einmal müssen sogar ein paar Holzbretter helfen. Teilweise sind die Bänder etwas speckig. Wirklich eine der luftigsten Stellen auf Klettersteigen bisher, das macht Laune. Und das alte Spiel: D1 arbeitet oft sogar mit zwei Karabinerhaken, ich mit einem, D2 nutzt selten die Selbstsicherung, Susi wohl fast nie eine. Das hat alles mehr mit Vernunft als mit Können zu tun.

Nach nur 2.5 Stunden ab Hütte - trotz Pause - ist der Spaß leider schon vorbei. Es folgte eine herrliche Rutschpartie über Firn und Geröll hinab und der lange, schöne Weg zur Brentei-Hütte vor. D2 und ich jagen uns dann binnen 35 Minuten hoch zur Alimonta-Hütte (410Hm plus Strecke). Das war straff gelaufen. D1 sah wohl nicht einmal mehr unsere Kondensstreifen: "Ein alter Mann ist doch kein D-Zug". Naja, er ist wohl 1 Jahr älter als D2 und 9 Jahre jünger als ich ...

Kochen, Lesen, Schlafen ... etwas Regen ... wieder schönes Wetter ... plötzlich lautes Brummen. Gegenüber, an der NW-Kante der Crozzon di Brenta, ist offenbar ein Unfall passiert, ein Hubschrauber setzt einen Retter/Arzt am langen Seil ab. Mehr erfahren wir leider nicht, und den Rest der Aktion verschlucken wieder Nebelfetzen.

Am 27.8. starten wir zum angeblich schwersten Klettersteig, dem Bocchette Alte. 6 Stunden sind im Führer angegeben. Eine sehr steile Firn- oder Eisrinne soll die Hauptschwierigkeit sein. Zwei Sachsen erzählten uns, daß man dort am Anfang 3-4m weit in das Stahlseil stürzen könnte. Das ist ohne Klettersteigbremse (ich habe noch keine) zu weit, dabei reißt selbst eine 11mm-Schlinge. Und überhängende Leitern soll es geben. Au weia. D1 will gern noch die Cima Brenta (den zweiten "großen" 3000er) mitnehmen. Ich weniger, denn es gibt dort einen ausgesetzten Firngrat, und wir haben keinen Pickel. Aber ich stecke ihm das Seil in den Rucksack. Ich habe schon genug Lastesel gespielt, und beim selbstgekochten Essen ist er doch nur Parasit ;-)

Alles halb so wild. Eine Leiter ist stückweise senkrecht, keine hängt über. Wir steigen bei schönstem Wetter (nur die Täler im Osten verschwinden im Dunst) noch auf die Spallone dei Massodi, 3004m, mein 35. 3000er. Im Führer stehen zwar nur 2999m, aber wir richten uns natürlich nach der topografischen Karte!

Die Adamello-Presanella-Gruppe gegenüber im Westen sieht beeindruckend aus. Seit Beginn des Urlaub schaue ich ständig dorthin. Soviele Gletscher, soviele spitze Zacken ... und die Presanella (3500m) ist eine herrliche spitze Pyramide wie der K2 von weitem :-) Wir wollten schon vor zwei Jahren dorthin, nächstes muß es einfach werden.

Ein sehr luftiger Gratabschnitt (aber Sicherung ist nicht nötig), etliche ausgesetzte Bänder, dann kommt die Firnrinne. Von 3-4m "Fliegen" kann nicht die Rede sein. Der Firn ist hart, die oberste Schicht aber aufgeweicht. Steigeisen verbieten sich, weil man drüben sofort in eine Leiter einsteigt. Susi quert als erste hinüber und quietscht am Ende. Wenn sie nur überall so viel Angst hätte, wo es gefährlich ist ... Ich kralle die Finger zusätzlich etwas in den Schnee und bin eigentlich nicht verunsichert. Das zweite Seil hängt doch ganz gut (das erste verschwindet unter dem Firn).

Etwas kraxliger als der Centrale ist der Bocchette Alte schon, d.h., man muß öfters selbst leicht klettern. Aber alles angenehm. Auf die Cima Brenta verzichtet D1 nun doch, denn es sieht brüchig aus (und ein Grat oben soll ziemlich brüchig sein, aber vielleicht haben unsere Kollegen aus Sachsen auch übertrieben - sie gaben dort auf). Jedenfalls haben wir nach nur 2:40 Stunden ab Hütte das Garbari-Band schon lange hinter uns und sind beim Abstieg, als die ersten Kolonnen von Gehern entgegenkommen. Nach 3.5 Stunden schnallen wir die Steigeisen am unteren Ende des Tuckett-Gletschers ab. Über den SOSAT-Steig - lange nicht gemacht :-) - geht es zurück. Nur 6.5 Stunden dauert die ganze Tour, mit allen Pausen. Etwa 1500Hm dürften wir dabei zurückgelegt haben, wenn man dem sehr unzuverlässigen Kompaß-Wanderführer Glauben schenken soll.

Vor der Hütte ein toller silberner Hubschrauber. Der Pilot steigt hinten ein, auf dem Pilotensitz nimmt eine junge Frau mit Kopftuch Platz, setzt sich die Sprechgarnitur auf und fliegt routiniert weg ... Wir erfahren später, was los war. Der Generator in der Hütte war ausgefallen. Wie sich herausstellte, wog er 800kg, der Hubschrauber schaffte jedoch nur 750kg. Also baute man aus ihm alles heraus, was nicht niet- und nagelfest war: Türen, Sitze ... Wir sahen den bereits wiederhergestellten Helikopter abfliegen. Der Ersatzgenerator arbeitet wohl nicht richtig, denn abends gibt es eine kurze Stromsperre. Im Laufschritt teilten vorher die Kellner Kerzen auf Tellern aus, bis nach 15 Minuten unter lautem "Buuh!" der Strom zurückkommt (mit Kerzen war es doch viel schöner :-).

Einen Wermutstropfen gibt es doch: Man hatte uns wegen eines Mißverständnisses zwischendurch ausquartiert. Susi war wieder gleich auf 180, aber wir sind doch in Italien. D2 verhandelt mit der Wirtin, etwas 'spetaccolo', dann haben wir 4 Plätze in einem anderen Lager. Auf Dauer. Leider zieht dort manchmal der Dieselqualm hinein. Naja, Alpinisten müssen noch ganz andere Dinge aushalten.

Abends schaffe ich das Omelett "Raffael" zum Gespött der anderen nicht ganz.

Gewalttour

Uns fehlt im Norden noch der Benini-Steig, der ebenfalls (wie der 'Alte') am Tuckett-Paß losgeht. 7:20 Start - eigentlich spät, aber das Wetter ist einfach prächtig. Aus Gründen der Höhenmeter und der Unlust nehmen wir zur Abwechslung mal den SOSAT-Klettersteig zur Tuckett-Hütte ;-) Auch beim dritten Mal wird der Steig kein bißchen leichter. Die Einschätzung "leicht" haut hinten und vorn nicht hin (ebenso wenig wie der Orsi-Weg ein Klettersteig ist). Insbesondere der Kompaß-Wanderführer ist Schrott, manche Beschreibungen dort drin sind schlicht falsch. Bei SOSAT würde ich eher "kurze und knackige Schwierigkeit" einschätzen.

Wieder hasten wir in 20 Minuten über Firn zum Paß hoch. Der Schnee ist diesmal härter, es läuft sich in Steigeisen gut. D2 hat härtere Schuhe und läuft ohne Eisen, aber mit Skistöcken. Nur seine kurzen Hosen kann man ihm nicht abgewöhnen. Vielleicht hätte er sich den Rutschunfall vor ein paar Tagen mal näher ansehen sollen ...

Der Anfang des Benini-Steiges ("mäßig schwierig") ist in keiner Weise leichter als etwa der Bocchette Alte ("sehr schwierig"). Sehr exponiert, kraxlig, steile Leitern. Macht Spaß.

Oben auf dem Geröllfeld lockt rechts oben die Cima Sella (2911m). Ein kurzes Wort von mir ist schon fast zuviel, D1 und D2 zieht es genauso magisch hoch wie mich. Susi stürmt auf dem Benini-Weg vornweg und hört uns nicht. Wir rufen sie 2-3mal, aber irgendwie stiefelt sie weiter. Schließlich sagt sie: "Da macht nur Eure Quacke alleine" (Quacke ist die Bezeichnung sächsischer Kletterer für unlohnende Gipfel, die z.B. gerade mal 10m erreichen).

Wir legen die Rucksäcke nach einer kurzen Geröll-Latscherei ab und klettern los. Es sind nette, kleine Wandstufen, nur die erste ist etwas brüchig. Der Weg ist leicht zu finden, eine angenehme Kraxelei. Ich würde sie schon als I bezeichnen und nicht als "ohne Schwierigkeiten" wie im Kletterführer angegeben. Der Gipfel lohnt auf jeden Fall. Nach einer Stunde sind wir wieder unten und treffen auf die stinksaure Susi, die nicht mehr mit uns redet (sie hätte ja die 20m wieder hinunterlaufen können, aber naja ...).

Der Benini ist teilweise doch anstrengend und ausgesetzt. Zum Groste-Paß hin werden es immer mehr exponierte, ungesicherte Geröllbänder, ziemlich nervig. Den Aufstieg auf die Cima Groste (etwa 2900m) verfehlen wir, außerdem wird der Tag sowieso noch lang. Die Sonne brennt unbarmherzig. 6 Stunden sind schon um, wir stehen erst auf der Hochfläche des Groste-Passes. Ganz bis zur Seilbahnstation brauchen wir zum Glück nicht zu laufen, den Weg zur Tuckett-Hütte erreichen wir eher. Kaffee und deutlich magerer Kuchen als daheim in der Alimonta-Hütte muntern uns etwas auf. Unser Bedarf an SOSAT ist gedeckt, also geht es "unten herum" zur Brentei-Hütte und danach besonders heiß hoch zum Heim. D1 entwickelt plötzlich erstaunliche Wanderqualitäten. Dafür ist er bekannt: Wenn ein Ziel, insbesondere mit Zapfhahn (oder Weinkaraffe) lockt, wird er schnell, wo die anderen schon nicht mehr können. Ich nenne das "Kneipengravitation". D2 meint, daß man doch mit umeinander rotierenden leeren und vollen Bierfässern Gravitationswellen erzeugen könnte. Allerdings kann diese nur D1 messen.

Etwa 9.5 Stunden waren wir unterwegs und haben vermutlich 2500Hm geschafft. Schade, ich hätte den "großen" Höhenmesser doch mitnehmen sollen, das hätte mich interessiert (2500Hm waren bisher mein Maximum: Bischofshofen - Hochkönig).

Wir sind ganz schön alle. Trotzdem überlege ich, ob man nicht alle drei "großen" Steige - Centrale, Alte und Benini - in so einer Runde verbinden könnte: Von der Brentei-Hütte (oder ganz sportlich von der Alimonta-Hütte aus) hoch zum Brenta-Paß, dann die drei Steige und wie gehabt zurück. Das Hauptproblem dürfte dabei weniger die Kondition sein (an Höhenmetern kommen vielleicht auch nicht mehr als 2500 zusammen), sondern die nachlassende Konzentration, die vor allem im zweiten Teil des Benini auf den schmalen Schuttbändern gefährlich wäre. Gewiß hat das schon jemand von der Groste-Seilbahn aus gemacht, aber sportlicher wäre eine volle Runde allemal. Vorerst bleibt das Theorie, aber es könnte ein Ziel sein, wenn ich doch wieder einmal in die Brenta komme. Oder doch von der Groste-Bahn aus, und dann gleich bis zur Agostini-Hütte ... Hauptsache, es ist in einem Tag zu schaffen.

Nebel zieht wieder einmal auf, in einem Loch zeigt sich der schöne Kegel der Presanella (3500m), dahinter strahlt die untergehende Sonne ihre Wolkenkappe rot an - sie wird zum Vulkan. Nachts heftiges Wetterleuchten hinter diesem Gipfel, bei uns ist es ruhig.

Faule Alpinisten

Am 29.8. - unglaublich - ist das Wetter noch schöner. Wir planen für den letzten Tag (30.8.) noch den Monte Daino, von dem man die Brenta besonders schön von Osten sehen soll. Heute soll "nur" der Sentiero Detassis werden, die berühmt-berüchtigte "Götterleiter": 100m senkrecht an der Wand nur auf Leitern hoch. Weder ist das mein Geschmack (solche unnatürlichen Wege kann man nämlich überall hochziehen, sie folgen keiner Linie), noch haben wir die rechte Ausrüstung dazu, denn bei solchen Leitern sollte man doch eine Klettersteigbremse haben. Und D2 hat als einziger von uns eine.

Aber die anderen sind scharf darauf. Ich halte mir 10% Wahrscheinlichkeit für einen Verzicht offen. Zunächst ein Pfad, dann ein harmloses Schneefeld (wo ist denn nun das angekündigte scheußliche Schneefeld? Das gibt es einfach nicht!), und dann der angekündigte scheußliche Geröllhang. Oh ja, das stimmt. 2 Schritte vor, einer zurück, klettern kann man eigentlich nur auf allen vieren.

Die Leiter sieht gar nicht weltbewegend aus. Vielleicht kommen weiter oben die Überrraschungen? Hier sind es nur vereinzelte Leitern, ein relativ normaler Steig.

D2 klettert voran und macht eifrig Fotos. Zwei Leitern sind senkrecht, aber nicht lang - SOSAT war da ja noch schwieriger. So eine Fehleinschätzung. Aber mächtig ausgesetzt ist es doch. Susi klinkt sich kein einziges Mal in die Sicherung ein, wohl eine Trotzreaktion auf vorhergehende Diskussionen. Muß sie selber wissen? OK, aber bitte nicht in meiner Nähe. Neben mir sind schon einmal zwei Kletterer 150m in die Tiefe gestürzt, mein Bedarf daran ist gedeckt.

Nach genau 2:22 Stunden (D1 ist unser Buchhalter) sind wir wieder an der Hütte. Das war ein bißchen wenig. Und die Sonne brennt unbarmherzig. Wir haben gestern genug abbekommen und verziehen uns nach dem mittäglichen Kochen gleich in die Schlafräume. Abends wird natürlich a la carte gevöllert ...

Am letzten Tag: Regen, Gewitter, Enttäuschung. Was heißt Enttäuschung. Wir haben 9 Tage hintereinander Touren machen können, uns fehlt nur das südlichste Stück um Agostini- und Apostelhütte herum. Die dreifache SOSAT-Begehung mitgerechnet, haben wir 7 echte Klettersteige und 3.5 Gipfel gemacht (die Cima Molveno leider nur bis unter den Gipfelkopf).

Wir kraxeln auf dem riesigen Karstplateau herum, steigen zu einem Gipfelchen ab (sic!), kommunizieren mit einer Gemse :-), suchen Höhlen, klettern an dem nahem Gipfel der Zwillinge (Gemili) herum ... ein echter Ruhetag.

Abends ist es aus mit Ruhe. Das Lager kostet 25 DM statt 10 DM. In der Summe macht das wenig, weil das Essen sehr reichlich ist, aber wo sind gleich unsere Goldkettchen ... alles findet seine Lösung :-))

Ich sollte doch nicht nur Speisekarten-Italienisch können, sondern auch Preislisten-Italienisch.

Wir verbringen trotzdem noch einen sehr lustigen Abend mit einem Regensburger.

Überhaupt, lustig. Gestern abend traf eine Gruppe von älteren Bergwanderern ein, geführt von einem Gartenzwerg: Klein, gestrickte Zipfelmütze mit Ohrenklappen hochgeklappt, Nickelbrille, weißer Vollbart, faltiges Gesicht, rote Jacke, kurze Hose, krumme Beine und große Bergstiefel. Als er lachte, zeigten sich in der oberen Reihe zwei braune Zähne als einzige. Und er lachte viel. Neben ihm eine ältere, markant faltige Frau mit strähnig-struppigem, aschblonden Haaren und einfach riesiger Hakennase, die Augen durch eine starke Brille unnatürlich groß erscheinend. Auf der anderen Seite ein kleiner Mann mit schwarzem Stoppelbart, ebenfalls Nickelbrille, grüner Zipfelmütze, stauchenden Elastikhosen und bemerkenswert kugelförmig. Das waren die drei einprägsamsten Typen der Truppe. Alle waren sehr lebhaft und quirlten durcheinander. Deutsche waren es auf keinen Fall. Italiener? Leider war es mir nicht vergönnt, Fotos zu schießen ...

Abreise

Der Regen geht weiter. Es wird ein echtes oberitalienisches Tief. 1100Hm Abstieg im Eilmarsch und im Regen sind noch das Leichteste an diesem Tag. Keiner rutscht auf den glitschigen Steinen aus. Bei der Busfahrt zurück nach Trient sehen wir noch einmal "unsere" Brenta im Regen und weiter unten herrlichste Berge, teils sogar bei Sonne.

In Trient beginnen wir eine Stadtbesichtigung. Vor der großen Abend-Völlerei ist ein Snack geplant. Der Snack entpuppt sich als Thunfischpizza für 4 Personen und 19 kL (19 DM) - aber mit 50cm Durchmesser! So war es nicht geplant. Wir sind satt. Die Pizza ist 1a, obwohl die Bar etwas an McDonald erinnert, nur wirklich viel, viel besser.

Der folgende Stadtrundgang wird durch ein heftiges Gewitter immer wieder unterbrochen. Schade, die Innenstadt ist wirklich sehr schön, ich war ja schon voriges Jahr hier auf der Radfernfahrt Berlin-Neapel. Wir essen noch in einer anderen Bar, aber ich zumindest bin satt. Die Zeit vergeht sehr langsam. Der Zug fährt erst 1.40 Uhr.

Im Warteraum des Bahnhofs treffen wir zwei Münchner Mountainbiker, die von Lenggries aus in 7 Tagen die Alpen überquerten. Feine Sache. Nun müssen sie heim. Weniger feine Sache: Nur der Nachtzug nimmt Fahrräder mit, und schon sind 50 Minuten Verspätung angekündigt. Aha, auch die italienische Bahn schafft so etwas ;-)

Kurz vor 3.00 Uhr nachts kommt unser Zug endlich, nach einigem Hin und Her. Man hat einen zusätzlichen Wagen angehängt. Aha, doch keine DB, man ist flexibel ;-) In weiser Voraussicht kauften wir Platzkarten. Fein, denn die Gänge sind voll. Wie bei früheren Balkan-Fahrten.

Im Vorbeirennen sehen wir das Fahrradabteil: Dort sind die Räder schon bis unter die Decke gestapelt. Au Backe.

In München schaffen wir den Anschluß gerade noch vor den hereinstürmenden Massen. Ein Schaffner meint, er sei jedesmal froh, wenn das Wochenende in den Regionalzügen vorbei sei. Gerade in den alten Bundesländern ist das Gedränge enorm. Aber wir haben wieder Sitzplätze! Wir schaffen sogar das "illegale" Umsteigen mit nur 1 Minute Anschlußzeit (und Verspätung, wie üblich) in Zwickau. Und es regnet. Wir sind müde.

Nach 30.5 Stunden Reise (von Hütte bis Haus) bin ich zu Hause, 1.5kg leichter. Es war ein schöner Urlaub. In der zweiten Woche bin ich mehr in Form gekommen und habe Appetit auf mehr bekommen. Nächstes Jahr Adamello-Gruppe, 3000er sammeln?

Zurück zur Homepage