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DIE ÄLTESTEN WEGE IN DER HINTEREN SÄCHSISCHEN SCHWEIZ


Hermann Lemme

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Wenn man erfährt, daß sich in den grenznahen Gebieten der Sächsischen
Schweiz das Raubwild bis weit in die Neuzeit erhalten hat, daß man in
dem 1642 im Großen Zschand errichteten Zeughaus außer den Stellnetzen
und Tuchlappen für die "Hirschfeist" noch immer die Wolfsspieße,
Saufedern und Transportkästen für die in Bärenfängen und Wolfsgruben
erbeuteten Tiere aufbewahrte, daß im einsamen Ziegengrunde hinter dem
Raumberg erst 1743 der letzte Luchs zur Strecke gebracht worden ist;
wenn man berücksichtigt, daß im 15. Jahrhundert von ihren
"Raubschlössern" aus die heruntergekommenen Feudalherren als Reaktionäre
ihrer Zeit die Umgebung unsicher machten und daß auch nach dem Übergang
in sächsischen Besitz böhmische Landplacker ihre Gefangenen in den
Felshöhlen peinigten, möchte man meinen, dieses Gebiet sei
jahrhundertelang eine weg-und pfadlose, von den Menschen gemiedene
Urwaldwüstenei gewesen.

Doch dies ist keineswegs der Fall. Von einem undurchdringlichen Urwald
konnte seit Ende des 16. Jahrhunderts überhaupt nicht mehr die Rede
sein. Raubbau und Mißwirtschaft hatten sich einander die Hand gereicht,
um den ehemals dichten Waldmantel von Grund aus zu verwüsten. Und gerade
die spätmittelalterlichen Burgstätten hatten es mit sich gebracht, daß
auch in der einsamen Felsenlandschaft vielbegangene Steige entstanden,
die noch immer deutlich vorhanden waren, als um das Jahr 1600 der
Markscheider Matthias Oeder im Auftrage seines Kurfürsten die erste
Landesaufnahme Sachsens schuf. Sogar heute ist es möglich, den Spuren
dieser ältesten Wege nachzugehen, und man wird mit Verwunderung
feststellen, daß diese zum großen Teil noch immer gern benutzt werden.

Als Mittelpunkt einer ausgedehnten böhmischen Feudalherrschaft, die zwei
Städte und 18 Dörfer mit 233 zinspflichtigen Männern umfaßte, stand im
15. Jahrhundert auf einem Felsmassiv über dem mittleren Kirnitzschtale
auf die Dauer von 42 Jahren das "slos Wildenstein", dessen Überbleibsel
heute dem Wanderer nur noch in Gestalt von durch Menschenhand
erweiterten natürlichen Felsgemächern, in geringfügigen Mauerresten, vor
allem aber in ungezählten Pfostenrinnen und Balkenlöchern, die auf
Holztüren, Palisaden, gedeckte Gänge, Fallgitter und sonstige Verhaue
hindeuten, entgegentreten. Es war damals eine Zeit schwersten Ringens
der Markgrafen von Meißen mit den böhmischen Lehnsmännern um die
Vorherrschaft, wobei die trutzige Bergveste dreimal durch Dresdner
Schützen und Stadtknechte erobert werden mußte. Aber auch den eigenen
Standesgenossen, die im Tetschener Eibtal saßen, konnte das fehdelustige
Geschlecht der Berken von der Duba nicht immer Vertrauen schenken,
wenngleich sie oftmals gemeinsam ihre Raubzüge in das linkseibische,
bereits zu Sachsen gehörende Gebiet der Sächsischen Schweiz oder auch
nach den Handelswegen der Lausitzer Sechsstädte unternahmen. So sind
denn all die kleinen Raubnester in der Umgebung, Falkenstein,
Frienstein, Rauschenstein, Lorenzsteine, Arnstein, Heulenberg und
Raumberg, als Sperrforts und Signalvesten der Wildensteiner Herren
aufzufassen, die gerade gegen diese südlichen Nachbarn gerichtet waren.
Wenn manche dieser Befestigungsanlagen, von denen aus man sich durch
Signalfeuer mit dem Herrensitz verständigte, sicher auch nur im
Ernstfall bewohnt waren, so machte sich doch die Schaffung von
Schleichpfaden und Verbindungswegen notwendig, in denen wir nun gerade
die allerersten Steiganlagen unseres Wandergebiets erkennen können.

Um die am weitesten nach Westen vorgeschobene Stellung, den Falkenstein,
der auf den der Nordseite vorgelagerten Felsklippen ein bescheidenes
Blockhaus, einen Laufgang und einen von Palisaden umschlossenen
Wirtschaftshof besaß, während die große Stufenreihe am Turnerweg auf
einen Beobachtungsstand auf dem Gipfel hinweist,, zu erreichen,
benutzten die berittenen Knechte der Feudalherren und ausgesandten Boten
einen sich um das Massiv der Affensteine herumwindenden Weg, der heute
noch als Vorderer Haideweg bekannt ist, vom Dietrichsgrund abzweigt und
am Bloßstock, an der Brosinnadel sowie am Wilden Kopf vorüberführt.
Nordöstlich unterhalb des Bloßstocks findet der aufmerksame Beobachter
sogar noch einen fast vollständig verwachsenen und verrollten Hohlweg,
der die heutige, in großer Kurve angelegte Wegführung verkürzen half.
Was die Menschen des 15. Jahrhunderts beim Anblick der herrlichen
Pelsszenerie, die heute jedes Bergsteigerherz höher schlagen läßt,
gedacht haben mögen, können wir nicht mehr ergründen. Vermutlich war
ihnen bei ihrem anstrengenden Ritt ein frischer Trunk aus munterem
Waldquell bedeutend wichtiger, und weil ihnen das "leuse börnichen" (von
slaw. luza /= /Sumpf) im obersten Abschnitt des Hinteren Bösen Grabens,
den ihr Weg querte, vielleicht schon damals nicht recht munden wollte,
scheuten sie sich nicht, schon gleich hinter der Eulentilke steil hinab
in den Nassen Grund zu steigen, um dann an "günders börnichen" eine um
so wohligere Labung für Mann und Roß zu finden. Günthers Börnel, das dei
Schichtenneigung des Sandsteins im Bereich der Hohen Liebe sein
Entstehen verdankt, ist ja noch heute als wohlschmeckender schwacher
Eisensäuerling, also als richtige Mineralquelle, im Schrammsteingebiet,
in dem im Sommer 15 qkm ohne jedes fließende Wasser sind, von besonderer
Bedeutung. Von hier aus erreichte man vor 500 Jahren auf einem heute
weniger begangenen Wege, der nördlich des Wenzelweges die Abhänge der
Hohen Liebe durchquert, den nahen Falkenstein. Noch einmal bot sich
Gelegenheit zum Rasten und Trinken beim "börnichen am Scheideweg", das
heute zwar noch auf den Karten als Scheiden-börnel eingetragen ist, aber
fast vollständig versiegte. Einst war es der Quell, der auch die kleine
Besatzung der Burgwarte mit Wasser versorgte.

In Anbetracht der Tatsache, daß das nahe Postelwitz bis zur endgültigen
Grenzbereinigung zwischen Sachsen und Böhmen für die Wildensteiner
Herrschaft der Elbumschlageplatz war, bei dem die auf dem Wasserwege
angekommenen Güter, in der Hauptsache Getreide, Wein, Malz und Bier,
ausgeladen und auf dem Landwege weitergeführt wurden, für welchen Zweck
es zu den Verpflichtungen einiger Orte gehörte, einen "Eibwagen" zu
stellen, d. h. Fronfuhren nach und von der Elbe zu leisten, ist es
durchaus möglich, daß auch damals schon über den Falkenstein hinaus, im
Zuge des Wenzelweges und des Zahnsgrundes, eine Verbindung zum Eibstrom
bestand. So wird auch verständlich, wenn man erfährt, daß es bei den
Frondiensten der Postelwitzer damals hieß, "den Zahnweg helfen sie
machen und erhalten". Wenn dagegen in der Heimatliteratur seit
Jahrzehnten immer wieder von einer mittelalterlichen Handelsstraße die
Rede ist, die angeblich von Postelwitz durch das Schrammstein- und
Affensteingebiet nach dem Großen Zschand führte und auf welcher
Frachtgüter bis ins böhmische Niederland, d. h. der Umgebung von Rumburg
und Schluckenau, sowie bis zur Oberlausitz gegangen sein sollen, so ist
dies mit aller Deutlichkeit abzulehnen. Die Wege, die sich um das
Schrammstein- und Affensteinmassiv schlängeln, sind viel zu sandig, und
das Gelände im Gebiet des Großen Zschand viel zu sumpfig, als daß ein
geregelter Fahrverkehr für die schwerbeladenen Planwagen in Frage
gekommen wäre. Außerdem lag nicht die geringste Veranlassung vor, durch
solch ein wilde und unsichere Felsenlandschaft zu reisen, da seit
Menschengedenken in unmittelbarer Nähe die Hohe Straße bestand, die von
Schandau aus, das gleichfalls ein Umschlageplatz gewesen ist, über die
Wasserscheide zwischen Sebnitz- und Kirnitzsch-tal zu den obengenannten
Zielen führte und die bis ins 19. Jahrhundert ununterbrochen einen
starken Frachtverkehr gesehen hat. Was aber den Gütertransport gerade
für den Herrensitz Wildenstein anbelangte, so gab es in Lichtenhain
einen von der Hohen Straße abzweigenden Fahrweg, der vom Dorfbach aus
hinüberwechselte zum Knechtsbachtal, bei der Lich-tenhainer Mühle die
Kirnitzsch überschritt und an den Abhängen des Hausberges entlang, hier
noch heute als "Alte Straße" bezeichnet, sich zum Wildenstein emporwand.
Es ist höchstens denkbar, daß in den letzten Jahren vor Beendigung der
Grenzstreitigkeiten, als, zusammen mit der benachbarten Herrschaft
Hohnstein, auch das Eibstädtchen Schandau und damit der Zugang zur Hohen
Straße bereits in sächsischem Besitz waren, die Eibwagen für die
Wildensteiner Herren mit ihren schweren Lasten von Postel-witz aus durch
das unwirtliche Schrammsteingebiet zur Burg über der Kuhstallhöhle
schaukeln mußten. Eine Verbindung von Burg zu Burg bestand in ältester
Zeit auch zwischen dem Wildenstein und dem Winterstein, der zwar nicht
als Vorposten der Wildensteiner Berken anzusprechen war, vielmehr
bereits im 14. Jahrhundert bestanden hatte, als von dem "slos
Wildenstein" überhaupt noch keine Rede war. Späterhin dürfte es aber
auch hier zwischen den benachbarten Strauchrittern Bande der
Freundschaft gegeben haben, und wenn man sich zu besuchen pflegte oder
Botschaften zu überbringen hatte, dann benutzte man einen Weg, der etwa
400 Meter östlich des heutigen Fremdenweges durch den "willensteiner
waldt" (Wildensteiner Wald) führte, noch heute erkennbar ist und kurz
vor der Kreuzung mit der Dietrichsgrundstraße sich mit jenem vereinigt,
über den Sandhübel ging es hinab zu den Queenwiesen und durch den oberen
Teil des Kleinen Zschand zur Knorre. Bei der Einmündung der
Buchschlüchte ist seitlich des heutigen Knüppelweges noch ein alter
Hohlweg durch eine kleine Schlucht erkennbar, ebenso auch das letzte
Stück des einstigen Weges, der sich um die Nord-und Ostseite des
Wintersteins herumwand und heute im anstehenden Fels am Boden alte
Fahrgeleise aufweist, die aber sicherlich erst aus späterer Zeit stammen.

Merkwürdigerweise findet sich auf Matthias Oeders Karte auch schon ein
Weg durch den Queengrund, der als der "grundt steigk in der quena"
bezeichnet wurde und den Aufstieg durch die gewaltigen Nordabstürze des
Winterbergmassivs nicht scheute, um beim Katzenstein den Anschluß an den
Roßsteig zu gewinnen. Es ist der gleiche blau markierte Wanderweg, der
heute, von Sebnitz kommend, zwischen Heringstein und Bärenhorn durch das
Heringsloch klettert, das übrigens auf alten Karten "Geleitsmanns Loch"
genannt wird. Wenn man bei der Deutung dieses Namens von
mittelhochdeutsch "geleiten" (= schützend begleiten) ausgeht, lüftet
sich auch hier der Schleier eines uralten Geheimnisses. Die Queene
erweist sich kulturgeschichtlich außerordentlich interessant. Während im
Anfang des 18. Jahrhunderts, der Zeit des "Goldfiebers", hier
gewichtsschwere Körner, vermutlich von Magneteisensand, entdeckt wurden,
die Veranlassung gaben zu vergeblichen Versuchen auf Goldbergbau durch
eine in Dresden gegründete " Gewerkschaft derer Granaten Bergwercke auf
denen Hohnsteinschen Amts Reneren", sind allemAnschein nach im 15.
Jahrhundert die Spießgesellen der berüchtigten Wartenberger auf Tetschen
über den Großen Winterberg und durch die Queene herabgestiegen, wenn sie
mit den Berken von der Duba gemeinsame Raubzüge unternehmen wollten. Den
gleichen Weg mögen sie auch, schwer beladen mit kostbarer Beute,
zahlreiche Gefangene mit sich führend und "geleitet" von den Knechten
der Wildensteiner, bei ihrer Rückkehr verfolgt haben. Wie mag ihnen da
wiederum das köstliche Naß des Winterbörnels, das im oberen Teil des
heutigen Heringsloches der Erde entquillt, gemundet haben!

Auch eine Querverbindung von Nordwesten nach Südosten verdient in diesem
Zusammenhang genannt zu werden, die an dem zuerst erwähnten Vorderen
Hai-deweg begann, durch die Hölle zum Massiv der Affen-steine
emporführte, auf dem schmalen Felskamm zwischen Carolafelsen und Kleinem
Winterberg hinüberleitete zur sogenannten Wurzel und am Nordostabhang
des Großen Winterberges entlang, den soeben skizzierten Weg aus der
Queene aufnehmend, zum Katzenstein und damit zum uralten Roßsteig
brachte. Es ist der Reitsteig, auf alten Karten auch als Reiteroder
Reutersteig bezeichnet. Bei Matthias Oeder wird er der "wilster steig"
(vermutlich aus Wildensteiner Steig verstümmelt) genannt und
merkwürdigerweise mit einem Anker () als Wegzeichen versehen Nach
neueren Forschungen (Oskar Pusch, Dresden) führten alle "Ankerwege"
einst zu Befestigungen, bei denen hier in erster Linie zu denken gewesen
wäre an den Frienstein mit seiner ausgedehnten Felsgrotte, von der aus
den Herren auf dem Wildenstein die nötigen Feuer-, Rauch- oder
Lichtzeichen gegeben wurden, vielleicht aber auch an die Schrammsteine,
die möglicherweise einstmals ebenfalls befestigt waren, zumal sie als
der "Schramenstevn" bei der Übergabe der Herrschaft Wildenstein an
Sachsen mit unter die abzutretenden "sloss vnd weide" gezählt wurden.
Sehr wahrscheinlich haben wir in dem Wegedreieck Wildenstein - Haideweg
- Hölle - Reitsteig - Katzenstein - Geleitmanns Loch - Queene -
Wildenstein auch einen viel begangenen Patrouillenweg aus der
Raubritterzeit vor uns, von dessen höchstgelegenen Punkten weite Schau
ins Land ringsumher gehalten werden konnte.

Der schon mehrfach genannte Roßsteig ist ein uralter Übergang von Böhmen
nach Sachsen, der schon im 15. Jahrhundert viel benutzt wurde, auch
durch Fahrzeuge. Er begann in Herrnskretschen, das damals
Hornsesskretczschin hieß, und erreichte bei den obersten Kehren der
heutigen Neuen Straße, südöstlich des Großen Winterberges, das seit 1492
sächsische Gebiet. Bis zum Katzenstein trägt er gegenwärtig die
Bezeichnungen Müllerwiesen-, Fremden- und Katzensteinweg; im weiteren
Verlauf ist er noch heute als Roßsteig bekannt und wird als Verbindung
zwischen Großem Winterberg und Zeughaus oft begangen. Auf der Oederschen
Karte zeigt sich auch bei ihm ein altes Wegezeichen (Z), das an die
ältesten Wege in der Dresdner Heide, an Rennsteig, Diebsteig und
Schwesterweg erinnert. Zu einer Zeit, als das Zeughaus noch nicht
bestand, ging der Roßsteig "vom großen winterberg hinabe biss zu dem
teiche In dem Zcen", einem kleinen Weiher im Großen Zschand, der dem
Teichstein den Namen gegeben hat und von dem nur noch ein Stück
Dammkrone erkennbar ist, um dann als "sawpersstorffer steig"
(Saupsdorfer Steig) in gleicher Richtung im Zuge des heutigen
Dreisteigenweges zum Kirnitzschtal, zu den Pohls-hörnern, durch den
Hirschewald nach dem Saupsdorfer Räumicht und nach Saupsdorf, ja sogar
am Wachberg vorbei, nach Nixdorf zu führen.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte im 15. Jahrhundert in der
Nachbarschaft des Wildensteins auch der Arnstein. Er gehörte, nach den
vielen Spuren einstigen Bewohntseins, seinen Felsengemächern, die z. T.
als Burgverlies gedient haben, seiner Zisterne und den Balkenlagern für
einen ehemaligen Bergfried zu urteilen, zu den ansehnlichsten
Burgstätten der Hinteren Sächsischen Schweiz. Er lag zwar im Gebiet der
Wildensteiner Herrschaft, befand sich aber wahrscheinlich lange Zeit im
Pfandbesitz der schon mehrfach genannten Wartenberger auf Tet-schen. Vom
Wildenstein führte einst der sogenannte Haussteig, dessen Abstieg in den
Kleinen Zschand heute kaum mehr benutzt, sondern durch die
Ferkel-schlüchte umgangen wird, in östlicher Richtung zu den Mühlen im
Kirnitzschtal, und gegenüber der Buschmühle findet sich noch immer der
"Reitsteig", der über der Talschlucht des Ottendorfer Dorfbaches um die
Westseite des Arnsteins herumführt und von Norden her den Gipfel
erreicht. Wenn die Herren vom Arnstein aber zu ihrer Stammburg Tetschen
bzw. zu der ebenfalls in ihrem Besitz befindlichen Burg Schauenstein,
dem sogenannten Hohenleipaer Raubschloß, wollten, pflegten sie bei der
Mühle, die zu ihrem Versorgungsbereich gehörte, den Kirnitzschbach zu
überschreiten und benutzten einen Schleichpfad, der im allgemeinen in
südöstlicher Richtung, genau besehen aber in zahllosen Windungen über
den unwegsamen Kirnitzschtale dahinführte. Dieser Weg, den uns Matthias
Oeders Zeichnerhand ebenfalls getreulich übermittelt hat, läßt sich
zwischen der Nordecke des Heulenberges und der Südspitze des
Schäfersteins im Zuge des Flügels E erkennen, führt nach Kreuzung mit
dem alten Saupsdorfer Steig (dem heutigen Dreistei-genweg) zum heutigen
Saupsdorfer Weg und Bußbergweg, erreicht schließlich den Vorderen
Thorwald, verliert sich im Bereiche des Förstersteins fast gänzlich,
klettert vom Hinteren Thorwald zum letzten Male empor zum Matthiasberg
und vereinigt sich nach jähem Abstieg, angesichts der imposanten
Buchenkuppel des Raumberges, der einst ebenso wie der Heulenberg am
Beginn des Weges eine bescheidene Burgwarte getragen haben muß, mit dem
Stimmersdorfer Steig.

Der Stimmersdorfer Steig stellt sich wiederum als ein uralter Übergang
von Böhmen nach Sachsen dar und stammt aus einer Zeit, als das gesamte
Gebiet noch den Lehnsmännern des böhmischen Königs zu eigen war. Er
diente einst als Verbindung zwischen Stimmersdorf und Hinterhermsdorf,
erreicht heute unweit des Altarsteins deutschen Boden, überschreitet
nördlich des Raumberges die Kirnitzsch und klettert durch das
Lindigtgründel zu den waldigen Höhen über Hinterhermsdorf hinauf. Hier
trägt auf alten Karten ein Wegstück noch die Bezeichnung "die
Königswürde", die an sich zwar unerklärlich bleibt, aber doch ähnlich
wie Königstein, Königsnase, Königswald (Basteiwald), Königsweg (über dem
Gottleubatal), Königsbrück usw., an die Zeit der böhmischen Könige erinnert.

Zum Schluß sei noch eines Weges gedacht, der, vom kulturgeschichtlichen
Standpunkt aus gesehen, von besonderer Bedeutung gewesen ist, des
Grenzsteiges zwischen Schmilka und dem oberen Kirnitzschtale. Als am 23.
Januar 1492 in diesem Abschnitt der Hinteren Sächsischen Schweiz die
sächsisch-böhmische Grenze endgültig festgelegt wurde, war eine peinlich
genaue Grenzbegehung vorausgegangen. Bei dieser Gelegenheit wurden von
berufener Hand "zceichentliche crewtz (Kreuze) in steyne und bevme
gehawen" und ein sorgfältiges Protokoll angefertigt. Wenn heute ein
Wanderer diesen Grenzsteig benutzt, dessen Fels- und Waldwildnis
stellenweise geradezu erdrückend wirkt, der anderswo aber wieder
beglückende Ausblicke ins Böhmerland bietet, wird er kaum für möglich
halten, daß sich von diesen in den Fels gehauenen Kreuzzeichen noch eine
ganze Anzahl über 460 Jahre hinweg bis auf unsere Zeit erhalten hat. Und
doch ist dies der Fall, so z. B. südlich der Richterschlüchte bei den
heutigen Grenzsteinen 9|19, 9|21 und 9|22, im sogenannten Raingrund,
westlich des Großen Zschand, bei 7|5, 7|7, 7|12 und besonders bei 7|22,
einer mit Doppelkreuz bezeichneten Stelle, die sogar in jenem Protokoll
von 1492 als solche genannt wurde, indem es dort hieß: "ffort von dannen
yn einen grünt, in dem anfange des grunndes sein zwei crewtz inn einen
stein gehawnn", schließlich auch noch im Großen Ziegengrund. Im
Gegensatz zu den geheimnisvollen Kreuzen, Buchstaben, angeblichen Weihe-
und Gebückzeichen, die sich an fast allen Raubschlössern der Sächsischen
Schweiz finden, wissen wir also hier ge-nauestens, wann und zu welchem
Zweck diese Einmeiselungen erfolgt sind, und so dürften diese zu den
ältesten geschichtlichen Erinnerungen unserer schönen Felsenheimat
gerechnet werden.

Der Grenzsteig hatte anscheinend in seinen höchstgelegenen Teilen,
zwischen dem Großen Winterberg und den Partschenhörnern, bereits den
Wildensteinern zu militärischen Zwecken gedient, bestand doch beim
Übergang aus den Weberschlüchten zum Prebischtor, am sogenannten
Eichberg, eine kleine Burgwarte, von der heute noch, allerdings auf
tschechischem Boden, Graben und Zisterne zu sehen sind. Wenn weiterhin
in diesem Raum eine Felsenschlucht, der "Jortan", ein Felsenhorn, das
"Jortanshorn", und eine schroffe Talwand über den Schwarzen Schluchten
die "Jordane" heißen - es handelt sich hier um slawisches Sprachgut, das
soviel wie Platz zum Schreien und Alarmschlagen bedeutet -, dann läßt
sich ermessen, daß in dieser Weltabgeschiedenheit vor Jahrhunderten
regeres Leben geherrscht hat als heute, wo nur die Berg steiger die
Weberschlüchte und Partschenhörner wegen ihrer lohnenden Kletterziele
aufsuchen.

Unsere kulturgeschichtlichen Streifzüge durch die Hintere Sächsische
Schweiz sollen abgeschlossen werden mit einem Hinweis darauf, wie sich
im Laufe der Jahrhunderte aus den immerhin noch wenigen Wegen und
Steigen des ausgehenden Mittelalters, die vor allem militärischen und
wirtschaftlichen Zwecken dienten, das ausgedehnte Wegenetz der heutigen
Zeit entwickelt hat. Als mit dem Unschädlichmachen der Raubnester und
der politischen Säuberungsaktion der meißnisch-sächsischen Fürsten
einigermaßen Ruhe im Grenzland eingetreten war und die großen erkauften
Bergwälder nur noch nach dem Wert ihrer Wildbahn und ihres Holzreichtums
beurteilt wurden, entstanden zahlreiche Pirschwege zum Zwecke der
Hofjagden und vor allem ungezählte Holzabfuhrwege. Viel trug hierzu die
kurfürstliche Holzflößerei bei, die im 16. Jahrhundert auf der
Kirnitzsch und anschließend auf der Elbe eingerichtet wurde, die die
Möglichkeit bot, das Holz bis Torgau, Magdeburg und Hamburg zu flößen,
um einen großen Gewinn für die kurfürstliche Kasse herauszuwirtschaften.
Als um die Wende des 18. Jahrhunderts der Reiseverkehr nach der
Sächsischen Schweiz einsetzte, entstanden die ersten Fremdenwege, die
noch heute den allzu bekannten Massenauftrieb aufzuweisen haben. In der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber bemühten sich Gebirgsvereine
und Forstverwaltungen, durch Schaffung neuer, schöner Wanderwege, den
Touristenverkehr in immer neue Bahnen zu leiten. Und unser Jahrhundert
vollendete dieses Werk, indem ein Netz von farbigen Wegemarkierungen
angelegt wurde, das für die übrigen deutschen Mittelgebirge geradezu zum
Vorbild wurde.